Waffenlieferungen:EU legt Pläne für Munitionsproduktion vor

Waffenlieferungen: In einem französischen Werk werden Artilleriegranaten für die Haubitze "Caesar" hergestellt.

In einem französischen Werk werden Artilleriegranaten für die Haubitze "Caesar" hergestellt.

(Foto: Lionel Bonaventure/AFP)

Europa will der Ukraine bald mehr Munition liefern, hinkt aber beim Nachschub hinterher. Das soll sich ändern - vor allem durch mehr Geld für die Rüstungsindustrie. Aber kommt es dort auch schnell genug an?

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Man kann bei den vielen Ankündigungen, die die EU zu ihrer Hilfe für die Ukraine macht, schon einmal durcheinanderkommen. Ein Beispiel: Im März haben die Europäer versprochen, der Ukraine binnen zwölf Monaten, von denen nur noch zehneinhalb übrig sind, eine Million Artilleriegranaten zu liefern. An diesem Mittwoch dann legte die EU-Kommission einen Gesetzentwurf vor, durch den Europas Rüstungsindustrie im Lauf der nächsten zwölf Monate überhaupt erst in die Lage versetzt werden soll, pro Jahr eine Million Artilleriegranaten herzustellen. Ein Widerspruch? Falsche Reihenfolge?

Nicht unbedingt, jedenfalls nicht nach Brüsseler Logik. Der Gesetzentwurf, den der französische EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton erarbeitet und nun öffentlich vorgestellt hat, ist der dritte Teil eines größeren europäischen Plans, durch den ein Problem gelöst werden soll, das durch den russischen Überfall auf die Ukraine offensichtlich geworden ist: Die ukrainische Armee braucht dringend Artilleriemunition, vor allem vom Standardkaliber 155 Millimeter. Aber die EU-Länder tun sich schwer damit, ausreichend viele Geschosse zu produzieren, um einerseits Kiew beliefern und andererseits die eigenen Lager wieder auffüllen zu können. Diese sind wegen der Hilfe für die Ukraine längst geleert.

Bis die Produktionskapazitäten ausgebaut sind, vergeht viel Zeit

Ein Werkzeug, mit dem die EU solche Probleme oft zu lösen versucht, ist Geld. So auch in diesem Fall: Zwei Milliarden Euro hat die Union bereitgestellt, um Mitgliedsländer finanziell zu unterstützen, die der Ukraine entweder Granaten aus ihren Beständen spenden oder gemeinsam neue Bestellungen bei Rüstungsfirmen aufgeben, die ihre Geschosse in der EU oder Norwegen herstellen. Über dieses Herkunftskriterium hatte es in der Union wochenlangen Streit gegeben, am Mittwoch wurde dieser aber von den EU-Botschaftern beigelegt. Auf diesen beiden Wegen soll die Ukraine bis zum Frühjahr 2024 eine Million Artilleriegranaten bekommen. Das sind, grob gesagt, Teil eins und Teil zwei des EU-Munitionsplans.

Bei Bretons drittem Teil geht es nun nicht mehr nur darum, Munition für die Ukraine zu besorgen, sondern die Unternehmen in Europa zu stärken, die diese herstellen sollen. "Wir müssen mehr Munition produzieren", sagte Breton am Mittwoch.

Brüssel will deswegen mit 500 Millionen Euro europäische Rüstungsunternehmen fördern. Das Geld soll für Zuschüsse verwendet werden, um den Bau neuer, vor allem aber den Umbau, den Ausbau oder die Modernisierung bereits bestehender Fabriken zu finanzieren. Brüssel will dabei 40 bis 60 Prozent der Kosten übernehmen, der Rest muss von einem Mitgliedsland oder einem Unternehmen kommen. Durch diese Kofinanzierung peilt Breton daher de facto eine Milliarde Euro an Zuschüssen für Europas Rüstungsindustrie an.

Das Förderprogramm, das sich aus zwei bereits bestehenden EU-Töpfen speisen soll, ist zunächst für die Dauer eines Jahres angelegt. Am Ende solle die EU dann genügend Produktionskapazitäten haben, um pro Jahr eine Million Artilleriegranaten herstellen zu können, so Breton. Anfang 2023 produzierten europäische Fabriken jährlich etwa ein Viertel dieser Menge.

Nach jetzigem Stand ist Bretons Vorschlag nur das - ein Vorschlag der EU-Kommission. Um ein europäisches Gesetz zu werden, müssen auch die 27 EU-Regierungen und das Europaparlament zustimmen. Selbst wenn das von Breton angestrebte Eilverfahren funktioniert und der Plan bis Ende Juni abgesegnet ist, wird es daher wohl noch einige Monate dauern, bis tatsächlich Geld fließt, bis Investitionsentscheidungen getroffen und Produktionskapazitäten ausgebaut werden.

500 Millionen Euro Zuschuss für eine einzige Fabrik?

Zudem gibt es eine Reihe ökonomischer und politischer Fragen, allen voran die, ob 500 Millionen Euro mit Blick auf das angestrebte Ziel nicht eine viel zu geringe Summe sind. Die Financial Times zum Beispiel zitierte vor einigen Wochen den Vorstandsvorsitzenden des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall, Armin Papperger, dessen Unternehmen Artilleriegranaten herstellt. Papperger sagte, dass er in Deutschland gerne eine neue Pulverfabrik bauen würde, die ungefähr 800 Millionen Euro kosten würde. Da es dabei um eine Investition in die nationale Sicherheit gehe, habe er die Bundesregierung um einen Zuschuss von 500 Millionen Euro gebeten, so Papperger. Anders gesagt: Für eine einzige Fabrik will eine einzelne europäische Rüstungsfirma eine Förderung in Höhe der Gesamtsumme, die Bretons Plan vorsieht.

In Berliner Regierungskreisen wird Pappergers Vorstoß allerdings ohnehin mit Kopfschütteln quittiert. Die Rüstungsindustrie müsse sich über Abnehmer keine Sorgen machen und könne ruhig selbst investieren, heißt es aus dem Bundesverteidigungsministerium.

Breton will zudem Regeln lockern, die bisher der Rüstungsindustrie die Arbeit erschweren oder staatliche Investitionen in die Branche behindern. Munitionsfabriken sollen zum Beispiel rund um die Uhr in Betrieb sein dürfen.

Zudem sollen europäische Regierungen auch jene EU-Zuschüsse, die sie für andere Zwecke bekommen, dazu verwenden dürfen, um die Munitionsherstellung zu fördern. Sie könnten ihren Teil der Kofinanzierung auf diese Weise abdecken, so Breton. Mit Geld aus Brüssel, das eigentlich dazu gedacht war, die wirtschaftlichen Schäden der Covid-Pandemie abzufedern oder zivile Infrastrukturprojekte zu bezahlen, könnten dann also Maschinen oder Rohstoffe gekauft werden, um Munition zu produzieren. Ob diese Art der zivil-militärischen Umwidmung politisch in der EU problemlos eine Mehrheit findet oder ob sie nicht sogar gegen die EU-Verträge verstoßen würde, ist unklar.

Und schließlich will Breton der EU-Kommission die Macht geben, europäische Rüstungsfirmen notfalls dazu zwingen zu können, Aufträge aus Europa mit Priorität abzuarbeiten - als "letztes Mittel", wie der Kommissar sagt. Käufer aus Drittstaaten hätten dann das Nachsehen. Sie würden ihre Lieferungen später bekommen oder gar nicht.

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