EU-Spitzenämter:Vertagtes Chaos

Die Gräben zwischen den EU-Staaten im Streit um die Kandidaten für die neuen Spitzenämter werden immer größer. Der schwedische EU-Vorsitzende wirkt überfordert.

M. Winter, Brüssel

Trotz hektischer Telefondiplomatie zwischen den Hauptstädten zeichnet sich in der Europäischen Union immer noch kein Ergebnis bei der Kandidatensuche für die europäischen Spitzenpositionen ab. Die Gräben zwischen den Mitgliedsländern scheinen im Gegenteil immer größer zu werden.

Reinfeldt, Reuters

Schwedens Regierungschef Fredrik Reinfeldt wirkt als Moderator des EU-Personalstreits zuweilen überfordert.

(Foto: Foto: Reuters)

Denn Polen drängt jetzt darauf, mit mehreren Kandidaten für die beiden Ämter in eine offene Abstimmung zu gehen. Diese Idee trifft bei vielen der anderen Mitgliedsländer aber nur auf wenig Gegenliebe. Er halte es für "undenkbar", dass sich ein aktiver Ministerpräsident einer Kampfabstimmung über einen europäischen Posten stellt, sagte Schwedens Regierungschef Fredrik Reinfeldt am Mittwoch. Der Mann würde im Falle einer Niederlage ja riskieren, auch zu Hause politisch kein Bein mehr an den Boden zu bekommen.

Und solange dieses Risiko bestehe, daran ließ Reinfeldt keinen Zweifel, werde keiner zu einer offiziellen Kandidatur bereit sein. Das macht dem Schweden die Arbeit nicht leichter. Als gegenwärtigem Vorsitzenden der EU ist es seine Aufgabe, einen Personalvorschlag für die vakanten Ämter zu machen. Und das gestaltet sich schwierig. Eigentlich wollte er seine Vorschläge schon am heutigen Donnerstag den anderen Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfelessen präsentieren. Aber diese Einladung verschob er nun um eine Woche. Am 19.November möchte er dann "einen Kandidaten für jedes Amt" vorschlagen.

Bis dahin will er in Gesprächen mit den anderen Staats- und Regierungschefs eine Einigung auf Namen erzielen. Eine erste Verhandlungsrunde habe nichts verwertbares ergeben, musste Reinfeld einräumen. Es sei eben ziemlich kompliziert, einen Ausgleich zwischen "Rechts und Links, Norden und Süden, Westen und Osten, Groß und Klein und Mann und Frau" zu finden, wenn man nur zwei Posten zu vergeben habe.

Es scheint noch nicht einmal gelungen zu sein, fest zu vereinbaren, welcher Posten an die Konservativen und welcher an die Sozialdemokraten fällt. Die europäischen Vorsitzenden der Konservativen und der Sozialdemokraten, Wilfried Martens und Poul Nyrup Rasmussen, hatten sich zwar darauf geeinigt, dass die Konservativen den Präsidenten des Europäischen Rates und die Sozialdemokraten den Außenminister bekommen.

Doch diese Einigung wurde auf Druck mehrerer Hauptstädte nie veröffentlicht. Zugleich betreibt der britische Premierminister Gordon Brown weiter die Kandidatur seines Vorgängers Tony Blair für den Präsidenten-Posten und fällt so seinen sozialdemokratischen Freunden in den Rücken, die den Außenminister benennen wollen.

Kandidaten und Spekulationen

Für den EU-Präsidenten sind von der konservativen Seite her immer noch die Regierungschefs der Niederlande und Belgiens, Peter Balkenende und Herman Van Rompuy, im Gespräch. Aber auch der Luxemburger Jean Claude Juncker wird wieder gehandelt, der schon als ausgeschieden galt. Auch Carl Bildt wird neuerdings genannt. Als ehemaliger Regierungschef wäre der schwedische Außenminister für das Amt qualifiziert.

Für den Posten des europäischen Außenministers gilt der italienische Sozialdemokrat Massimo d'Alema als Favorit. Sollte aber der Labour-Mann Blair EU-Präsident werden, dann fiele das Außenamt an die Konservativen.

Scheitert Blair und sind die Einwände gegen d'Alema etwa wegen seiner kommunistischen Vergangenheit zu groß, dann will London den Außenministerposten angeblich entweder für Wirtschaftsminister Peter Mandelson oder für die gegenwärtige britische EU-Kommissarin Catherine Ashton fordern. Freilich haben weder Mandelson, der früher einmal EU-Kommissar für Handel war, noch Ashton außenpolitische Erfahrungen.

Ärger über Reinfeldt

Wie kompliziert es ist, das alles zu klären, lässt sich daran ermessen, dass Reinfeldt glaubt, noch mindestens eine Woche zu brauchen, um etwas hinzubekommen. Damit widersteht er dem Druck aus Berlin und Paris, schon für dieses Wochenende einen Gipfel einzuberufen. Deutsche wie Franzosen sind darüber verärgert, dass der Schwede die Sache angeblich zu langsam angegangen sei.

Reinfeldt verteidigt sich mit dem Hinweis, dass es ziemlich schwierig sei, alle Staats- und Regierungschefs in kurzer Zeit an die Strippe zu kriegen. Ob er bis zum nächsten Donnerstag eine allseits zufriedenstellende Lösung mit zwei Kandidaten findet, wagt Reinfeldt nicht vorherzusagen: Es sei sein Ziel. Aber er könne nicht ausschließen, dass noch auf dem Gipfel "jemand anderer" für einen der Posten bestellt wird.

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