EU-Skeptiker:Konjunktur für Populisten

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Gestern die Niederländer, heute die Iren und Tschechen? EU-skeptische Populisten versprechen sich viel von der Europawahl - und nutzen die Unzufriedenheit vieler Bürger aus.

Thomas Kirchner und Klaus Brill

Mit Bescheidenheit kommt man offenbar nicht weit in der Politik. Etwa hundert von 736 Sitzen werde Libertas im EU-Parlament erobern, sagt Declan Ganley. Umfragen sehen seine Partei bei null bis höchstens zwei Mandaten. Ist der irische Unternehmer größenwahnsinnig? Manche in Brüssel wollen das gerne glauben, aber ganz sicher ist sich keiner, denn Ganley ist unberechenbar.

Irische Abgeordnete unterstreichen nach dem Nein im Referendum im Sommer 2008 ihre Ablehnung gegen den Vertrag von Lissabon. (Foto: Foto: dpa)

Der 40-jährige Multimillionär hat bewiesen, dass er eine Kampagne führen kann. 2008 bewirkte er das Nein der Iren zum Lissabon-Vertrag fast im Alleingang. Nun expandiert Libertas nach Europa und erfährt als Newcomer die stärkste Beachtung aller EU-kritischen Parteien. Ungefähr 30 Mitarbeiter hat Ganley engagiert, die vom siebten Stock eines Brüsseler Bürokomplexes aus um unzufriedene Europäer werben.

In seiner Haltung zu Europa ist Ganley nicht so leicht einzuordnen. Weder ist er nur ein Schwätzer - ein jüngst erschienenes Interviewbuch weist ihn zumindest auf dem Papier als Kenner der EU-Materie aus -, noch hasst er die Union. Anders als die meisten britischen EU-Skeptiker plädiert er nicht für einen Rückbau der Brüsseler Macht zugunsten nationaler Parlamente, in Teilen will er sogar mehr EU. Und im Gegensatz zu manchen Nörglern in Osteuropa sieht Ganley sich sogar als vehementer Freund der Europäischen Union. Nur anders soll sie sein, "demokratischer".

Auf dieses Wort lassen sich alle Punkte des entsprechend übersichtlichen Libertas- respektive Ganley-Programms zurückführen: europaweite Referenden; eine Verfassung für Europa, die höchstens 25 Seiten füllt; das Parlament müsse endlich selbst Gesetze einbringen dürfen, die Kommissare sollten vom Volk gewählt werden. "Und weniger Verschwendung, weniger Bürokratie", fügt Parteisprecherin Anita Kelly wolkig hinzu.

Ganley fühlt sich als Gegenkraft zum Brüsseler Establishment, sein besonderer Widerwille gilt der Kommission. Ohne sich dafür verantworten zu müssen, träten die Kommissare auch als Lobbyisten und sogar als Gesetzgeber in Erscheinung. Überhaupt sei die Art und Weise, wie in Brüssel Gesetze zustande kämen, völlig intransparent: auf "geheimen Treffen einer geheimen, nicht gewählten Regierung".

Solche Parolen lassen Ganleys Taktik erkennen, die eine typisch populistische ist. Sie bedient die Unzufriedenheit vieler Bürger mit den Kompromissen und Kungeleien der Demokratie, mit einem Prozess, der, in den Worten von EU-Kommissar Günter Verheugen, "langsam, kompliziert, oft qualvoll, aber effizient" ist. Die Forderung, alles zu schrumpfen, ob Ratssitzungen, Subventionen oder Verfassungstexte, klingt gut, ist aber letztlich nicht mehr als eben: populistisch. Und einen gewichtigen Einwand wissen weder Ganley noch seine Sprecherin zu entkräften: Wenn Libertas mehr Demokratie in Europa will, warum ist die Partei dann gegen den Lissabon-Vertrag, der dem Europa-Parlament mehr Kompetenzen gibt, die EU also demokratischer macht?

600 Kandidaten in 20 Ländern stelle Libertas auf, sagt Kelly. Weil in Deutschland zu wenig Unterschriften zusammenkamen, kooperiert die Partei hier mit der christlichen Neugründung AUF (Arbeit, Umwelt und Familie). Unter den Libertas-Kandidaten sind obskure Figuren wie der französische Ausländerfeind Philippe de Villiers, und auch die Unterstützung durch den ehemaligen polnischen Arbeiterführer Lech Walesa ist zwiespältig. Nach einem gemeinsamen Auftritt in Rom hat sich Walesa wieder distanziert von Ganley, den er nun von den Vorzügen des Lissabon-Vertrags überzeugen möchte.

In Tschechien, einer Hochburg der EU-Skeptiker, hat Libertas zwei Abgeordnete auf seine Seite gezogen, die aus der konservativ-liberalen Partei der Bürgerdemokraten ausgeschlossen wurden, weil sie zum Sturz der Regierung von Mirek Topolanek beigetragen hatten. Als Lissabon-Gegnerin wirbt aber auch die frühere TV-Moderatorin und EU-Parlamentarierin Jana Bobosikova um Stimmen. Und schließlich ist da noch die Partei Freier Bürger, gegründet von Vertrauten des besonders EU-kritischen Präsidenten Vaclav Klaus, dessen beide Söhne mitmachen. Die drei Grüppchen fanden keine gemeinsame Linie und treten nun getrennt an - laut Umfragen werden sie nicht einen Sitz erobern.

Anderswo sind die Kritiker weiter. In Österreich werden der Liste des EU-Abgeordneten Hans-Peter Martin wieder etwa 15 Prozent der Stimmen und zwei Sitze vorhergesagt; auch die britische UK Independence Party dürfte erneut über zehn Prozent kommen.

Weil die EU-Kritik auch von linker und grüner Seite lauter wird, stellt sich für die etablierten Parteien längst die Frage nach einer Gegenstrategie. Die CSU hat Forderungen der Skeptiker übernommen, etwa nach weniger Zentralismus und mehr Referenden. Mehr Erfolg scheint die Empfehlung einer Bertelsmann-Studie zu versprechen: Statt unablässig die Vorzüge der EU zu preisen, solle man offensiv auch Nachteile und Schwächen der europäischen Politik erwähnen - und sie bloß nicht unter den Teppich kehren.

© SZ vom 04.06.2009/jab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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