EU-Sicherheitspolitik:Berlin wirbt für "Koalition der Willigen"

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Die EU-Verteidigungsminister debattieren nach dem Abzug aus Afghanistan über den Sinn einer schnellen Eingreiftruppe. Kramp-Karrenbauer will eine militärische Stärkung "auf Augenhöhe" mit den USA.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Die EU-Verteidigungsminister haben im slowenischen Brdo über die Konsequenzen aus dem Debakel in Afghanistan beraten. Von einer "nüchternen Wahrheit" sprach Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU): "Wir Europäer haben gegen die Entscheidung der Amerikaner zum Abzug kaum Widerstand geleistet, weil wir mangels eigener Fähigkeiten keinen leisten konnten." Noch ließe sich verhindern, dass Afghanistan für den Westen zu "einer dauerhaften Niederlage" werde, schrieb sie auf Twitter. Sie warnte vor einer Spaltung zwischen der EU und dem Verteidigungsbündnis Nato und einem Rückzug aus dem internationalen Engagement: "Dann hätte der Westen wirklich verloren."

In der Debatte um eine schnelle EU-Eingreiftruppe betonte die Verteidigungsministerin, dass die militärischen Fähigkeiten vorhanden seien. Die "zentrale Frage" bestehe nicht darin, ob eine zusätzliche EU-Truppe aufgebaut werde, sondern wie die bestehenden Fähigkeiten der Mitglieder besser genutzt werden könnten. Denkbar sei etwa, "gemeinsam Spezialkräfte zu trainieren und wichtige Fähigkeiten wie strategischen Lufttransport und Satellitenaufklärung gemeinsam zu organisieren", so Kramp-Karrenbauer. Man wolle "auf Augenhöhe" mit den USA das westliche Bündnis stärken, weshalb die Bundesrepublik "mit interessierten EU-Staaten" spreche und für eine "Koalition der Willigen" werbe. Dazu könne Artikel 44 des EU-Vertrags angewendet werden, argumentiert Kramp-Karrenbauer. Einem solchen Vorgehen müssten jedoch alle 27 EU-Mitglieder zustimmen.

Die Eingreiftruppe soll "schnell und robust" handeln können, so Borrell

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte an, die Möglichkeit zu prüfen, Artikel 44 erstmals zu nutzen. Zuvor hatte er in der New York Times für eine schnelle EU-Eingreiftruppe geworben und daran erinnert, dass 14 EU-Mitglieder im Mai den Aufbau einer solchen Einheit mit etwa 5000 Soldaten vorgeschlagen hatten. Neben Frankreich, Spanien und Italien unterstützte auch Deutschland die Idee. Die Eingreiftruppe soll "schnell und robust" handeln können, schrieb er und nannte als Beispiel die Sicherung eines Flughafens "unter herausfordernden Bedingungen".

Für Borrell offenbart der Abzug aus Afghanistan die Abhängigkeit der Europäer von amerikanischen Entscheidungen. Joe Biden sei bereits der dritte US-Präsident, der seit 2009 angekündigt habe, dass sich Washington aus der Welt zurückziehen werde, so Borrell in der Pressekonferenz. Das EU-Ministertreffen habe der Diskussion gedient, betonte er, und nicht um Entscheidungen zu treffen. Auch General Claudio Graziano, der Chef des EU-Militärausschusses, sieht "die Zeit zum Handeln" als gekommen an und verwies auf die Lage im Nahen Osten und der Sahelzone. Zuletzt hatte auch EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nahe steht, in der SZ eine Eingreiftruppe samt militärischer Kommandozentrale gefordert. Die EU-Länder arbeiten gerade am "Strategischen Kompass", der das sicherheitspolitische Handeln der EU koordinieren soll. Borrell möchte im November einen Entwurf des Dokuments vorlegen, das im März 2022 unter französischer Ratspräsidentschaft beschlossen werden soll.

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