Rahmenabkommen:Brüsseler Hebelgesetz

FILE PHOTO: EU Commission head hosts Swiss president for talks on EU-Swiss relations

"Wir sind nicht überrascht": Ein Besuch des Schweizer Präsidenten Guy Parmelin bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im April hatte die Gespräche zwischen beiden Seiten nicht beflügelt.

(Foto: Francois Walschaerts/Reuters)

Die EU reagiert betont gelassen auf den Ausstieg der Schweiz aus den Verhandlungen - sie kann es sich wohl leisten.

Von Matthias Kolb, Brüssel

In Brüssel war man vorbereitet. "Wir sind nicht überrascht, wir haben mit dem Abbruch gerechnet", sagte ein hochrangiger Beamter der EU-Kommission nach der Bekanntgabe des Schweizer Bundesrats, nach sieben Jahren die Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen zu beenden. Am Mittwochabend wurden die EU-Botschafter informiert, doch die Sondersitzung dauerte nicht mal 30 Minuten.

Die Botschaft der EU: Die "einseitige" Schweizer Entscheidung bedauern wir, aber sie versetzt uns nicht in Panik. Und: Es gebe noch keine Pläne, wann und von wem das Thema diskutiert werden wird. Denkbar ist das nächste Treffen der Europaminister, vielleicht aber reden auch die Staats- und Regierungschefs Ende Juni darüber. Der Frust über den Bern-Out ist allerdings spürbar. Ohne Rahmenabkommen werde die "Modernisierung der laufenden Beziehungen unmöglich", teilte die EU-Kommission mit, bestehende bilaterale Abkommen würden "zwangsläufig veralten".

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte die seit 2018 stockenden Verhandlungen zur Chefsache gemacht und ihre Vizekabinettschefin Stéphanie Riso dafür abgestellt. Das zeigte nicht nur, dass von der Leyen die Angelegenheit abschließen wollte. Da Riso lange Brexit-Unterhändler Michel Barnier beraten hatte, war die Personalie ein weiteres Signal: Der EU-Binnenmarkt mit seinen 450 Millionen Verbrauchern muss geschützt werden. Wie bei den Verhandlungen mit Großbritannien hatte die Kommission Rosinenpickerei abgelehnt. An der eigenen Bereitschaft, so sieht es Brüssel, lag es jedenfalls nicht. Das Angebot, die Vertragstexte "Zeile für Zeile" durchzugehen, um strittige Themen wie Lohn- und Arbeitnehmerschutz in der Schweiz oder den Bezug von Sozialhilfe durch EU-Bürger zu klären, sei abgelehnt worden. Der Brexit hat die Überzeugung der EU bestärkt: Wer wegen der Vorteile Zugang zum Binnenmarkt möchte, der muss dafür etwa auch Freizügigkeit akzeptieren.

Die Darstellung, die EU-Beamten hätten sich gegen die kleine Schweiz verschworen, weist der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab im SZ-Gespräch zurück. Die Gespräche seien geplatzt, weil "einige wenige in der Schweiz" zu lange gehofft hätten, der Brexit werde ihre Position stärken, sagt der Chef der Schweiz-Delegation im Europaparlament. Dass die EU ihre Interessen verteidige, sei ebenso legitim wie normal. Schwab fürchtet, dass vor der nächsten Wahl 2023 kaum Bewegung möglich ist, da die Regierung ihrem Volk offenbar eines nicht sagen wolle: "Die Welt dreht sich nicht nur um die Schweiz, und unsere Souveränität können wir nur gemeinsam mit der EU verteidigen." Trotz der Enttäuschung werde die EU immer zu Verhandlungen mit der Schweiz bereit sein: "Wir brauchen weiter pragmatische Lösungen für die Menschen in der Region, die für das vermeintlich patriotische Hickhack in Bern kein Verständnis haben."

Als "unverständlich" bezeichnete auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) die Berner Entscheidung, nannte sie einen "heftigen Rückschlag". Österreichs Chefdiplomat Alexander Schallenberg forderte eine Erklärung, wie Schweizer "die Zukunft in den Beziehungen zur EU sehen". Ein Nein genüge nicht. Aus der EU-Kommission heißt es: "Wir werden die Tür nicht verschließen." Aber bewegen, da sind sie sich in Brüssel einig, müssen sich die Schweizer.

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