Trotz Mordverdachts und Katargate:Europa begrüßt die Herrscher vom Golf

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Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed Bin Salman soll 2018 den Mord an Regimekritiker Jamal Khashoggi befohlen haben. Ursula von der Leyen und Charles Michel empfangen ihn trotzdem in Brüssel. (Foto: Johanna Geron/Reuters)

Die EU veranstaltet zum ersten Mal ein Gipfeltreffen mit den arabischen Golfstaaten. Wirtschaftliche und geopolitische Zwänge lassen vergessen, wer da unter den Gästen ist.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Was diplomatische Coups angeht, so sind Charles Michel in jüngster Vergangenheit gleich zwei gelungen – keine schlechte Abschiedsbilanz für den scheidenden EU-Ratspräsidenten, der während seiner fünfjährigen Amtszeit nicht immer glücklich agiert hat. Einen großen Teil der letzten Wochen hat Michel damit verbracht, rastlos die arabischen Staaten am Persischen Golf zu bereisen und die dort herrschenden Emire und Prinzen zu einem Besuch in Belgien zu überreden. Das Ergebnis ist Coup Nummer eins: Am Mittwoch fand in Brüssel das erste gemeinsame Gipfeltreffen der EU-Länder und der sechs Mitglieder des sogenannten Golfkooperationsrates (GCC) statt – Saudi-Arabien, Oman, Katar, Kuwait, Bahrain sowie die Vereinigten Arabischen Emirate.

Coup Nummer zwei: Aus Riad kam kein Geringerer als Mohammed bin Salman bin Abdulaziz al-Saud, abgekürzt MBS, Kronprinz, Regierungschef und De-facto-Herrscher Saudi-Arabiens. Bis Dienstagabend war nicht klar, ob es Michel gelingen würde, Mohammed bin Salman nach Brüssel zu locken, schließlich hatten andere arabische Teilnehmer nur Vertreter von niedrigerem Rang entsandt. Dass aus dem mächtigsten Golfstaat der mächtigste Mann persönlich der EU die Ehre gab, war ein Triumph für Michel.

Europa ist von den Golfstaaten abhängig, zum Beispiel von ihrem Öl und Gas

Allerdings verkörpert zugleich kaum ein Herrscher das komplizierte, widersprüchliche und heikle Verhältnis zwischen EU und diesem Teil der arabischen Welt so wie MBS – nicht einmal Tamim bin Hamad al-Thani, der Emir von Katar, der ebenfalls anreiste und nach dessen Heimatland immerhin ein veritabler Bestechungsskandal benannt ist – Katargate –, der vor knapp zwei Jahren das Europaparlament in eine Krise gestürzt hat. Doch diese unerfreuliche Saga ist in Brüssel fast schon wieder vergessen.

Dass hingegen nach Ansicht westlicher Geheimdienste MBS persönlich den Mord an dem saudischen Regimekritiker Jamal Khashoggi befohlen und überwacht hat, der 2018 in Istanbul getötet und zersägt worden war, ist noch sehr präsent. Sein Empfang in Brüssel bei einem Gipfel, an dem von europäischer Seite unter anderem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni teilnahmen, nicht aber der deutsche Kanzler Olaf Scholz, kam daher einer Art politischer Rehabilitation gleich.

Doch was sollen die Europäer auch anderes tun? Die Zeiten zwingen sie dazu, mit den Golfarabern zusammenzuarbeiten, auch wenn einige von diesen ihre Macht mit Bestechung und Mord festigen. Die Abhängigkeit zeigt sich zum Beispiel deutlich beim Thema Energie: Saudi-Arabien und Katar gehören zu den größten Förderern von Öl und Gas – zwei Rohstoffe, die Europa dringend braucht, die es aber seit Beginn des Ukrainekriegs nicht mehr leicht und billig aus Russland beziehen kann. Zwar sind die USA und Norwegen als neue Hauptlieferanten eingesprungen, die Golfstaaten aber haben zumindest einen Teil der Lieferausfälle abgedeckt. Auch was die Produktion von klimafreundlicher Energie angeht, etwa Wasserstoff, hofft die EU auf mehr Zusammenarbeit mit den Golfstaaten.

Es droht, dass die Staaten der Region in den russisch-chinesischen Orbit abdriften

Im geopolitischen Bereich ist der Wunsch der EU nach einem guten Verhältnis zu den Arabern noch größer. Die meisten GCC-Länder haben nach wie vor ein gutes Verhältnis zu Moskau, das die EU gerne ein wenig verschlechtern würde. Die Vereinigten Arabischen Emirate zum Beispiel werden immer wieder als eins der wichtigsten Länder genannt, über die europäische Sanktionen gegen Russland umgangen werden. Die Emirate sind zudem Teil der Gruppe der sogenannten Brics-Staaten – eine Art antiwestliche Allianz unter russisch-chinesischer Führung. Saudi-Arabien spielt mit dem Gedanken, ebenfalls beizutreten.

Um dieses Wegdriften einer wirtschaftlich wichtigen und extrem dynamischen Region in den feindlichen Orbit zu verhindern, empfängt die EU auch einen Willkürherrscher wie MBS. Dass sich die Gäste kaum Mühe gaben, ihrerseits höflich zu sein und zum Beispiel dem europäischen Wunsch zu entsprechen, die iranischen Waffenlieferungen an Russland klar zu verurteilen, sagt nach Meinung von Brüsseler Diplomaten viel über die tatsächlichen Machtverhältnisse aus. Auch eine Aufforderung in der Abschlusserklärung an alle Staaten, jegliche Hilfe für Russlands Kriegsführung einzustellen, wollten die Araber offenbar nicht mittragen. Damit wäre auch China gemeint gewesen.

Das aus europäischer Sicht drängendste Thema auf der Tagesordnung war vermutlich der Nahostkonflikt. Die Golfstaaten sind in den vergangenen Monaten nicht wirklich mit Friedensinitiativen oder besonderer Empörung aufgefallen. In Brüssel gibt es durchaus den Verdacht, dass den Herrschern dort das Schicksal der Palästinenser und Libanesen relativ egal ist – dass sie eventuell sogar ganz zufrieden zusehen, wie Israel die wichtigsten militärischen Hilfstruppen der mit Saudi-Arabien rivalisierenden Iraner dezimiert, die Hamas im Gazastreifen und die Hisbollah in Libanon. Da allerdings auch die EU-Regierungen bei der Bewertung des israelisch-palästinensischen Konflikts tief zerstritten sind, war es am Mittwoch schwierig für die Europäer, die arabischen Besucher zu einer klareren Haltung zu drängen.

Sehr viel Handfestes kam bei dem Gipfel daher nicht heraus – die Zusammenkunft hatte vor allem symbolische Bedeutung, weniger substanzielle. Für EU-Ratspräsident Charles Michel, der erst 48 ist und fast verzweifelt nach einer Anschlussverwendung sucht, die seinen – seiner Meinung nach erheblichen – Fähigkeiten entspricht, war das Treffen allerdings eine Gelegenheit, zu leuchten, bevor er sein Amt im Dezember abgeben muss.

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