EU-Sanktionen:Weg von russischem Öl - in sechs Monaten

EU-Kommissionschefin von der Leyen stellt das nächste Sanktionspaket vor. Beim Ölembargo gibt es Ausnahmen für Ungarn und die Slowakei - und die EU wird die größte russische Bank vom Zahlungssystem Swift ausschließen.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Für Ursula von der Leyen ist die Sache klar. "Die Zukunft der Europäischen Union wird auch in der Ukraine geschrieben", sagt die Präsidentin der EU-Kommission. Sie präsentiert am Mittwochmorgen im Europaparlament in Straßburg die Details des nunmehr sechsten Sanktionspakets, das die EU gegen Russland verhängen will. Denn dessen Präsident Wladimir Putin, das macht von der Leyen deutlich, muss "einen hohen Preis für seinen brutalen Angriffskrieg" bezahlen. Auch beim Ziel der Europäischen Union lässt sie wenig Spielraum: "Wir wollen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt." Das Land müsse "Herr seiner eigenen Zukunft sein", diese dürfe nicht von irgendeinem ausländischen Anführer entschieden werden.

Wie erwartet soll zu den Strafmaßnahmen ein Ölembargo mit langen Übergangsfristen gehören. Von der Leyens Behörde hatte den Vorschlag am Dienstagabend den EU-Regierungen zukommen lassen; deren Botschafter berieten in Brüssel darüber bereits am Morgen. Für Sanktionen ist Einstimmigkeit nötig. EU-Diplomaten sagen, eine Einigung könnte bis Ende der Woche gelingen.

Die Übergangsfristen beim Einfuhrstopp für russisches Öl sollen allerdings noch länger als beim Kohleembargo sein. Dies wurde vorigen Monat verhängt, tritt aber erst nach vier Monaten in Kraft, auch auf deutschen Druck hin. Beim Öl sollen es sogar sechs Monate für Rohöl sein und raffinierte Produkte wie Benzin und Diesel dürfen "bis Jahresende" eingeführt werden, wie von der Leyen sagt.

"Auf diese Weise maximieren wir den Druck auf Russland und halten gleichzeitig Kollateralschäden für uns und unsere Partner weltweit möglichst gering", sagt sie. Die Mitgliedstaaten bräuchten genug Zeit, um "alternative Versorgungswege zu sichern"; zudem müssten die Folgen für die globalen Märkte klein gehalten werden. Das heißt: Die EU will einen starken Anstieg der Ölpreise verhindern.

Ungarn und Slowakei erhalten mehr Zeit für einen Öl-Importstopp

Am Mittwochmorgen erhöhten sich die Notierungen nur leicht. In Deutschland ist die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt von russischen Ölimporten abhängig. Eine rasche Umstellung ist nach Angaben von Wirtschaftsminister Robert Habeck aber möglich. Der Grüne warnt jedoch, dass die Preise für Kraftstoffe im ganzen Land vermutlich steigen werden, weil diese Anpassung Geld kostet und Alternativen zu russischem Öl teurer sind.

Besonders schwierig ist die Abnabelung für Ungarn und die Slowakei. Beide beziehen fast ihr ganzes Öl über die russische Druschba-Pipeline und haben keinen Zugang zu einem Seehafen, um Öl aus anderen Förderländern per Tankschiff anzulanden. Die Regierung in Bratislava argumentiere, dass eine Umstellung mehrere Jahre dauern werde, sagen EU-Diplomaten. Deswegen sieht der Sanktionsvorschlag der Kommission offenbar großzügige Ausnahmen für beide Länder vor.

Von der Leyen kündigt im Straßburger Plenarsaal außerdem an, die Sberbank, Russlands größtes Geldhaus, und zwei weitere Banken von Swift abzukoppeln, dem weltweiten System für internationale Zahlungen. Bereits zuvor hatte die EU sieben andere Banken auf diese Weise bestraft. Der Schritt zementiere "die vollständige Isolierung des russischen Finanzsektors". Daneben streicht die EU drei russischen Staatssendern die Sendelizenzen und verbietet Wirtschaftsprüfern und Lobbyagenturen, für russische Kunden zu arbeiten.

Laut von der Leyen werden auch weitere individuelle Sanktionen verhängt: etwa gegen "hochrangige Offiziere", die für mutmaßliche Kriegsverbrechen in Butscha und Mariupol verantwortlich sind. Dies sei ein Signal an die "Kriegsknechte des Kremls": Sie würden identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden.

Die Bundesregierung hatte dafür geworben, auch den Import russischer Brennstoffe für Kernkraftwerke zu verbieten. Damit konnte sich Berlin aber nicht durchsetzen. Einige osteuropäische Staaten sind von diesen Einfuhren abhängig, auch Frankreich arbeitet mit dem russischen Anbieter Rosatom zusammen. "Das ist vielleicht etwas fürs nächste Sanktionspaket", sagte ein EU-Diplomat. Diese Forderung kommt später dann vom ungarischen Europaabgeordneten Márton Gyöngyösi, und ist innenpolitisch motiviert: Die Regierung von Viktor Orbán lässt sich von Rosatom ein Atomkraftwerk in Paks bauen.

Von der Leyen schlägt Konjunkturpaket für Ukraine vor

Im zweiten Teil ihrer Rede wendet sich von der Leyen dem Wiederaufbau der Ukraine zu, der nach Ende der Kämpfe nötig sein wird. Neben der Soforthilfe, die die Menschen bei der Bewältigung der Kriegsfolgen sowie die Millionen von Geflüchteten unterstützt, investiere die EU viel, damit die ukrainische Wirtschaft nicht zum Erliegen kommt. Um bis zu 50 Prozent dürfte das Bruttoinlandsprodukt des Landes 2022 schrumpfen, referiert die Kommissionschefin. Dem Internationalen Währungsfonds zufolge benötigt die Ukraine von Mai an monatlich fünf Milliarden Euro: "schlicht und einfach, um das Land am Laufen zu halten, um Pensionen, Gehälter und grundlegende Leistungen auszahlen zu können". Sie begrüßt, dass die US-Regierung ebenfalls eine massive Finanzhilfe für Kiew angekündigt hat.

Dann bereitet von der Leyen die Abgeordneten und Bürgerinnen darauf vor, welche Summen die Ukraine brauchen wird, um "Krankenhäuser und Schulen, Wohnhäuser, Straßen, Brücken, Schienenwege, Theater und Fabriken" wiederaufzubauen. Experten gehen von mehreren Hundert Milliarden Euro aus - und "mit jedem Tag dieses sinnlosen Krieges" wird es teurer. Die Deutsche schlägt daher ein ehrgeiziges Konjunkturpaket für die Ukraine vor. Dieses soll klar definierte Etappenziele enthalten, damit das Geld der europäischen Steuerzahler die Menschen in der Ukraine erreicht, es gemäß den EU-Vorschriften ausgegeben und Korruption vermieden wird.

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Von der Leyen sieht noch einen weiteren Vorteil, wenn dadurch europäische Rechtsvorschriften eingeführt und Grundlagen für ein nachhaltiges Wachstum gelegt werden: Dieses Paket könne dazu dienen, "den Weg der Ukraine innerhalb der Europäischen Union zu ebnen." Nachdem Präsident Wolodimir Selenskij im März für sein Land einen Antrag auf eine EU-Mitgliedschaft gestellt hat, wird die Kommission im Juni ein Gutachten vorlegen. Auf dessen Grundlage sollen die Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie der Ukraine den Kandidatenstatus gewähren - EU-Diplomaten halten es aber aktuell für unwahrscheinlich, dass dem alle 27 Mitglieder zustimmen.

In der Plenardebatte stehen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine für die EU im Fokus. Auch wenn das Europaparlament kürzlich einen sofortigen Importstopp für Öl und Gas aus Russland gefordert hatte, werden die Vorschläge für das nächste Sanktionspaket begrüßt. Große Sorge bereiten den Abgeordneten aller Fraktionen die steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreise. Im Baltikum hat die Teuerungsrate bereits zwölf Prozent erreicht. Die CSU-Abgeordnete Angelika Niebler wirbt dafür, alles zu tun, damit das Leben für die Bürger "bezahlbar" bleibt und etwa der Mittelstand nicht über Gebühr belastet wird.

"Familien machen die Heizung nicht mehr an, weil sie sich das nicht leisten können", ruft die niederländische Christdemokratin Esther de Lange. Sie verlangt jedoch, die Industrie nicht zu überfordern und etwa die EU-Klimapläne des "Fit for 55"-Pakets zu überprüfen beziehungsweise ein "legislatives Embargo" einzuführen. Dem widerspricht der spanische Grüne Ernest Urtasun: Erneuerbare Energien seien der beste Weg, um Abhängigkeiten zu reduzieren.

Für die Linke fordert Fraktionschef Martin Schirdewan, Rüstungsfirmen und Energieunternehmen extra zu besteuern, um mit den Einnahmen die sozialen Härten zu mindern. Für die rechtsextreme "Identität und Demokratie"-Fraktion drängt Jordan Bardella, der zwischenzeitlich Marine Le Pen als Chef des französischen Rassemblement National abgelöst hat, darauf, stärker auf Atomenergie zu setzen und die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen: "Diejenigen, die am wenigsten haben, leiden aktuell am stärksten."

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