EU-Sanktionen gegen Russland:An Putins Machtzentrum vorbeigezielt

Russian President Putin looks on during a meeting with economic advisors at the Bocharov Ruchei state residence in Sochi

Russlands Präsident Putin bei einem Treffen mit seinen Wirtschaftsberatern

(Foto: REUTERS)

Die EU verhängt Strafmaßnahmen gegen zwölf Ukrainer und Russen, unter ihnen ein russischer Vizepremier sowie die Vorsitzenden der Parlamentskammern. Doch die Europäer trauen sich noch nicht, die wirklich wichtigen Putin-Vertrauten zu drangsalieren. Washington ist deutlich mutiger.

Von Matthias Kolb

Dmitrij Rogosin ist kein Mann der leisen Töne. Der 50-Jährige schürte einst mit seiner Partei Rodina (Heimat) die fremdenfeindlichen Vorurteile der Russen, bevor er Moskau von 2008 bis 2011 als Botschafter bei der Nato vertrat. Mittlerweile kümmert er sich als Vizepremier vor allem um Rüstungsfragen. Wenn er nicht gerade daran arbeitet, einen Kalaschnikow-Konzern zu gründen, pöbelt Rogosin schon mal gegen Madonna, wenn die Sängerin es wagt, für die Aktivistinnen von Pussy Riot zu werben. Auch auf dem Kurznachrichtendienst Twitter zeigt Rogosin gern, was er denkt - besonders während der Krim-Krise.

Der Lautsprecher Rogosin ist wohl der bekannteste unter den zwölf Männern und Frauen, die nun von den Staats- und Regierungschefs der EU mit Sanktionen belegt wurden. Ebenso wie Walentina Matwijenko, die Sprecherin des Föderationsrats und ehemalige Gouverneurin von Sankt Petersburg, und die Putin-Berater Wladislaw Surkow und Sergej Glasjew war Rogosin bereits am Montag auf einer ähnlichen Strafliste der US-Regierung gelandet - ihre Auslandskonten werden gesperrt. Gleiches gilt für die Abgeordnete Jelena Misulina.

Auch Sergej Naryschkin, der Vorsitzende der Staatsduma und der umstrittene TV-Journalist Dmitrij Kisseljow dürfen nicht mehr nach Europa reisen. Das Verbot trifft außerdem die beiden Vize-Kommandeure der russischen Schwarzmeerflotte sowie die Chefs der Wahlkommissionen auf der Krim und in Sewastopol. Das russische Vorgehen auf der Schwarzmeer-Halbinsel - erst Besetzung dann Anschluss nach positiven Referendum - hatte die Sanktionen ausgelöst. Als letzter Name steht folgerichtig Igor Turtschenjuk auf der Liste. Laut EU kommandiert er die russischen Truppen auf der Krim.

EU-Diplomat: "Psychologisch tut das weh"

Ein ranghoher EU-Diplomat sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Wirkungen der EU-Liste seien für die Betroffenen schmerzlich: "Sie können nun nicht nach London reisen, nach Nizza, an die Costa del Sol, nach Luxemburg oder Zypern. Psychologisch tut das weh."

Zum Ende des EU-Gipfels wird deutlich, dass die 28 EU-Staaten auf der zweiten ihrer geplanten drei Stufen verharren. Sie zögern eine weitere Eskalation heraus, indem sie gerade jene Mitglieder der russischen Polit- und Wirtschaftselite verschonen, die Wladimir Putin besonders nahe stehen. Die Amerikaner sind da deutlich konfrontativer: Sie hatten am Donnerstag Sanktionen gegen 16 hochrangige russische Politiker und Geschäftsleute verhängt (hier die komplette Liste). Sie dürfen nicht mehr nach Amerika reisen, zudem werden ihre Konten eingefroren.

Wen die Amerikaner ins Visier nehmen

Betroffen ist etwa Sergej Iwanow, ein ehemaliger Verteidigungsminister, der heute die Präsidialadministration leitet. Der 62-Jährige wurde wie Putin beim KGB ausgebildet, gehört zu dessen Vertrautenkreis (mehr in diesem SZ-Text) und soll als Spion unter anderem in Helsinki und London tätig gewesen sein. Einreiseverbote sind für Iwanow nichts Neues, sagte Putins Sprecher Dmitrij Peskow spöttisch: "Er ist das gewohnt."

Der Bann der Amerikaner trifft mit Gennadi Timtschenko auch den laut Forbes sechstreichsten Mann Russlands. Timtschenko, der in den Neunzigern mit Putin einen Judoclub gründete, hatte noch am Mittwoch all seine Aktien an dem von ihm mitgegründeten Ölhandelsunternehmen Gunvor mit Sitz in Genf verkauft, um diese Sanktionen zu umgehen. Laut US-Finanzministerium stehen Timtschenkos Geschäfte im Öl- und Gashandel "in direktem Zusammenhang" zu Putin. Gunvor bestreitet aber energisch, dass Putin selbst Anteile an dem Unternehmen besitze, das 2012 einen Umsatz von mehr als 90 Milliarden Dollar (etwa 65 Milliarden Euro) gemacht hat und unter anderem eine Raffinerie in Ingolstadt besitzt.

Auf der US-Liste steht auch Wladimir Jakunin, der Chef der russischen Eisenbahn, der als Hardliner in der Gruppe der silowiki gilt - so wird jene Mitglieder des Sicherheitsapparats genannt, die Putin nahe stehen (Details über die "Männer der Macht" hier). Geächtet werden auch die Brüder Arkadi und Boris Rotenberg, die an Bauaufträgen für die Winterspiele in Sotschi Milliarden verdient haben (mehr über deren Verstrickungen).

Neben diesen Personen steht auch die "Rossija Bank" auf der Liste, was Washington damit begründet, dass sich unter den Aktionären der Bank Mitglieder von Putins "innerem Zirkel" befinden würden. Das US-Vermögen der Rossija Bank werde eingefroren. Einzelpersonen und Unternehmen aus den USA dürfen mit dem Finanzinstitut keine Geschäfte mehr machen.

Minuten nach der Veröffentlichung der neuen Liste hatte Russland am Donnerstag mit Strafmaßnahmen gegen neun hochrangige US-Politiker reagiert. Am heutigen Freitag legte Präsident Putin nach und kündigte an, sich sein Gehalt an die Rossija Bank überweisen zu lassen. Er werde gleich am Montag bei dem Institut ein Konto eröffnen, sagte Putin. Zudem solle die Zentralbank Rossija unterstützen.

Unterdessen meldete sich auch Alexander Nawalny, der wohl prominenteste Oppositionspolitiker Russlands zu Wort. Trotz Hausarrest und Internet-Verbot veröffentlichte er in der New York Times einen Gastbeitrag mit dem Titel "Wie man Putin bestraft".

Darin fordert er Sanktionen, die nicht das russische Volk treffen sollten, sondern den "inneren Kreis" des Präsidenten. Dann nennt Nawalny einige Namen - und fast alle wurden von den USA mittlerweile gestraft. Er fordert, dass deren Besitz im Ausland beschlagnahmt werden solle. Und er wünscht sich auch Strafen für die Milliardäre Alischer Usmanow und Roman Abramowitsch, den Besitzer des FC Chelsea. Zudem sollten auch Igor Setschin und Aleksei B. Miller, die Chefs der Energieriesen Rosneft und Gazprom, für ihre Putin-Treue bestraft werden.

Diesen Schritt, direkt in das Innerste des Kreml zu zielen, das haben bislang auch die Amerikaner noch nicht gewagt. Die Europäer lassen sich erst mal Zeit, um zu überlegen, ob sie es wenigstens Washington gleich tun.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: