EU-Referendum in Großbritannien:Was die Europäer über den Brexit denken

Two activists with the EU flag and Union Jack painted on their faces kiss each other in front of Brandenburg Gate to protest against Brexit in Berlin

Eine zärtliche Pro-Europa-Demonstration in Berlin: In dieser Woche entscheidet sich, ob Großbritannien Teil der EU bleibt.

(Foto: REUTERS)

Wer will die Briten loswerden? Welche Konsequenzen fürchten die EU-Bürger? Und gibt es noch mehr austrittswillige Länder? Eine aktuelle Studie gibt Antworten.

Von Sebastian Gierke

Es sind nur noch wenige Tage, bis die Briten eine für ganz Europa historische Entscheidung treffen. Wollen sie in der EU bleiben? Oder stimmen sie für den Brexit?

Das Ergebnis des Referendums ist völlig offen. Die aktuellen Umfragen weisen einen knappen Vorsprung der Brexit-Befürworter aus. Doch noch haben sich viele nicht entschieden.

Was aber denken die Deutschen, die Italiener oder die Spanier über die Brexit-Abstimmung. Was fürchten die Briten? Und vor welchen möglichen Folgen sorgen sich die Europäer?

Antworten auf diese Fragen finden sich in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung. Im April dieses Jahres wurden 10 992 Menschen aus den 28 EU-Mitgliedsstaaten befragt. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

Welches Ergebnis wünschen sich die Europäer?

Eine Mehrheit der Befragten will die Briten in der EU behalten. Die Mehrheit fällt mit 54 Prozent allerdings relativ knapp aus. Selbst EU-Gegner sind überwiegend gegen einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Nur 21 Prozent aller Befragten sprechen sich für den Brexit aus. Bemerkenswert: 25 Prozent haben zu dieser Frage, die von solch zentraler Bedeutung für Europas Zukunft ist, keine Meinung.

Auffällig sind die Ergebnisse aus Frankreich. In den 60er Jahren, als die Briten Einlass in die EG begehrten, hielt Staatspräsident Charles de Gaulle ihnen noch ein donnerendes "Nein" entgegen. Der General konnte sich nicht durchsetzen, vielen seiner Landsleute hat er damals aber aus dem Herzen gesprochen. Dass sich an der Einstellung gegenüber dem Vereinigen Königreich in Frankreich wenig geändert hat, zeigen die aktuellen Zahlen: Es sind tatsächlich die Franzosen, die sich von allen Kontinentaleuropäer am ehesten einen Brexit vorstellen können. Nur 41 Prozent erklären, es wäre ihnen lieber, wenn die Briten EU-Mitglied blieben. Jeder Viertel findet, sie sollten die EU verlassen.

Anders dagegen die Deutschen, Italiener, Polen und Spanier. Sie alle sähen die Briten lieber weiter in der EU.

Welche Folgen fürchten die Menschen für die EU?

Dass die Europäische Union ohne Großbritannien schlechter dran wäre, glauben 45 Prozent der Befragten. Nur zehn Prozent sind überzeugt, dass sich durch einen Brexit die Lage verbessern würde. Der Rest glaubt, dass sich nichts verändern würde.

Eine knappe Mehrheit der Europäer auf dem Kontinent ist sich außerdem sicher: Die EU würde durch einen Brexit wirtschaftlich geschwächt. Und ein Drittel fürchtet, dass Europa weltpolitsch an Macht einbüßt.

Welche Konsequenzen hat ein Brexit für das eigene Land?

Dass der Brexit negative Auswirkungen auf den eigenen Heimatstaat hat, glaubt kaum einer - zumindest keiner außerhalb Großbritanniens. Vor allem bei den Antworten auf diese Frage klafft eine große Lücke zwischen britischer und resteuropäischer Wahrnehmung. Die Kontinentaleuropäer machen sich insgesamt relativ wenig Sorgen um eine EU ohne Großbritannien.

Schaut man allerdings genauer hin, gibt es durchaus Unterschiede bei den Kontinentaleuropäern: Es sind vor allem die Deutschen und die Polen, die sich Sorgen um die möglichen Folgen eines Brexit machen. Franzosen, Italiener und Spanier glauben dagegen in der Mehrheit, dass sich wenig verändern würde.

Was erwarten die Briten?

Die überwiegende Zahl der austrittswilligen Briten glaubt - wenig überraschend-, dass es ihnen ohne die EU besser ginge. Allerdings fällt diese Mehrheit mit 55 Prozent nicht sonderlich groß aus. Das zeigt: Neben wirtschaftlichen Gründen lassen sich die Briten bei ihrer Entscheidung noch von einigen anderen Faktoren beeinflussen. Vor allem emotionale Gründe spielen eine Rolle. 13 Prozent der Brexit-Befürworter sind sich sogar sicher, dass ihr Land nach einem Austritt wirtschaftlich schlechter gestellt wäre. An ihrer Haltung ändert das aber nichts. Umgekehrt sind 59 Prozent derer, die in der EU bleiben wollen, der Meinung, dass ihr Land durch einen Austritt wirtschaftlich Schaden nehmen würde.

Was denkt Europa über die Zukunft der Gemeinschaft?

Die öffentliche Kritik an der Europäischen Union reißt seit Jahren nicht ab. Nicht nur in Großbritannien, sondern überall in Europa werden vor allem die Probleme betont, die Errungenschaften dringen nur selten ins Bewusstsein. Vor diesem Hintergrund überrascht, dass sich in der EU insgesamt eine deutliche Mehrheit von 55 Prozent für mehr politische und ökonomische Integration ausspricht. 15 Prozent sind mit dem Status Quo zufrieden und nur 30 Prozent wollen weniger Europa.

Anders die Stimmung in Großbritannien. 43 Prozent wollen weniger Integration, 31 Prozent sprechen sich für mehr aus und 26 Prozent sind zufrieden mit dem, wie es im Moment ist. Die Briten sind bei dieser so entscheidenden Frage die einzigen, die nicht mehrheitlich für eine Vertiefung sind. In allen anderen Ländern sprechen sich mehr als 50 Prozent der Menschen dafür aus. Besonders hoch sind die Zahlen in Italien und Spanien.

Was die Studie außerdem zeigt: Die Menschen in der EU wissen heute in der Regel deutlich mehr über europäische Politik als noch vor einigen Jahren. Auch hier gibt es eine Ausnahme: die Briten.

Und wie würden die EU-Bürger außerhalb Großbritanniens stimmen, wenn es in ihrem Land ein Referendum über den Verbleib ihres Landes in der EU gäbe? In fünf der sechs größten EU-Staaten nach Einwohnerzahl ist die Antwort klar: Die Menschen wollen Mitglied der EU bleiben.

Ob Großbritannien, das sechste, auch hier die Ausnahme bildet, wird sich in dieser Woche entscheiden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: