Süddeutsche Zeitung

EU-Referendum:Dänische Urangst

  • Am Donnerstag stimmen die Dänen darüber ab, ob ihr Land weiter mit der EU-Polizeibehörde Europol zusammenarbeiten soll.
  • Dänemark ist zwar Mitglied in der EU, hat aber mehrere Ausnahmen von den Verträgen ausgehandelt und muss bei Entscheidungen die EU betreffend das Volk befragen.
  • Mit einem "Ja" zur Europol-Zusammenarbeit würden die Dänen gleichzeitig 22 weitere EU-Vorschriften annehmen.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Es könnte wieder schiefgehen, wenn die Dänen am Donnerstag über ihr Verhältnis zu Europa abstimmen. Dänemark ist zwar Mitglied in der EU, hat aber vor mehr als zwanzig Jahren vier Ausnahmen von den EU-Verträgen ausgehandelt, an denen es bis heute festhält. Nun geht es um eine davon, um den Bereich Justiz und Inneres. Das klingt recht trocken, doch für die Dänen steckt darin eine Grundsatzfrage: Mit einem "Ja" erlauben sie ihrem Parlament, über EU-Fragen zu entscheiden, ohne wie bisher das Volk fragen zu müssen.

Was Europa angeht, trauen die Dänen ihren Politikern in Kopenhagen ebenso wenig wie den Brüsseler Politikern, wenn es um ihr Dänemark geht. Lange sah es trotzdem so aus, als würden sie den Schritt wagen - allein schon aus praktischen Gründen. Ohne ein "Ja" am Donnerstag läuft die Zusammenarbeit mit Europol für Dänemark in absehbarer Zeit aus. Die Befürworter lagen daher lange vorne.

Dann kam die Flüchtlingskrise und stellte alles auf den Kopf. Nun herrscht Verunsicherung; fast jeder dritte Däne weiß wenige Tage vor der Abstimmung nicht, wie er sich entscheiden soll. Der Rest der Wähler teilt sich auf in ein etwa gleich großes "Ja"- und ein "Nein"-Lager. Die Gegner seien besonders motiviert, zur Abstimmung zu gehen, sagt Derek Beach, Dozent für Politikwissenschaften an der Universität Aarhus. "Sie haben Angst, dass das Referendum sich am Ende doch um die Asylpolitik dreht."

Dabei hat die Regierung fest versprochen, dass es genau darum nicht geht. Seit Juni sind die Liberalen an der Macht und dabei auf die Unterstützung der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei angewiesen. Das Referendum bringt den liberalen Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen in eine schwierige Lage. Die Dänische Volkspartei möchte keine Flüchtlinge ins Land lassen und keine Entscheidungsgewalt nach Brüssel abgeben. Sie wirbt für ein "Nein" am Donnerstag, während Rasmussen für ein "Ja" wirbt.

Die polizeiliche Zusammenarbeit ist wichtig für Dänemark

Dabei war das Referendum nicht seine Idee, sondern die seiner Vorgängerin. Die Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt hat vor mehr als einem Jahr beschlossen, dass es Zeit für die Abstimmung sei. Auslöser war die Europol-Sache: Bisher kooperiert Dänemark durch einen gesonderten Vertrag mit der europäischen Polizeibehörde, doch wegen einer Reform ist das bald nicht mehr möglich. Europol ist das wichtigste Argument derjenigen, die für ein Ende der Ausnahme werben, denn die polizeiliche Zusammenarbeit ist wichtig für Dänemark. Die Dänische Volkspartei hält dagegen, man könne stattdessen wieder eine andere Übereinkunft mit Europol schließen. Ob und unter welchen Umständen das möglich wäre, ist jedoch unsicher.

Es geht aber um mehr als um Europol. Bisher darf Dänemark bei Fragen der Justiz und des Inneren in Brüssel nicht mitentscheiden. Wenn aus dem "Opt-out" - so die Bezeichnung für Dänemarks Ausnahmeregelung - ein "Opt-in" würde, könnte das dänische Parlament von Fall zu Fall bestimmen, an welchen Entscheidungen sich das Land beteiligen möchte. Die jeweiligen EU-Beschlüsse würden dann in Kopenhagen umgesetzt, ohne Referendum.

Genau das ist für viele Dänen in ihrem kleinen Land eine Urangst: fremdbestimmt zu werden. Mit einem "Ja" würden sie am Donnerstag gleichzeitig 22 weitere EU-Vorschriften annehmen, von Maßnahmen gegen Cyberkriminalität bis zu Sorgerechtsregeln. Auch dem Schengen-Abkommen, dem es bisher nur durch ein Sonderabkommen angeschlossen ist, würde Dänemark vollumfänglich beitreten. "Die Dänen haben den gemeinsamen Binnenmarkt immer gemocht", sagt Politikwissenschaftler Beach. "Jetzt aber, mit all den Flüchtlingen, wächst die Unsicherheit hinsichtlich der Freizügigkeit".

In Asyl- und Migrationsfragen soll die dänische Ausnahme bestehen bleiben

Die größte Angst der Dänen ist eine gemeinsame Asylpolitik. Lars Løkke Rasmussen hat stets versprochen, diese aus dem Referendum herauszuhalten. In Asyl- und Migrationsfragen soll die dänische Ausnahme bestehen bleiben, der Ministerpräsident hat das im Oktober noch mal betont: "Wir werden unser Veto-Recht nicht aufgeben, ohne die Dänen in einem neuen Referendum zu fragen", sagte er. Dieses Versprechen gelte, "bis die Sonne ausbrennt". Garantieren kann er diese Ausnahme von der Ausnahme wohl nur, solange er regiert.

Vor allem die Dänische Volkspartei setzt Lars Løkke Rasmussen unter Druck. Dieser hat im Wahlkampf stark auf die Flüchtlingsfrage gesetzt und versprochen, die Zuwanderung zu bremsen. Doch wie in anderen Ländern sind die Zahlen in Dänemark in den vergangenen Monaten gestiegen, trotz strengerer Asylregeln. Das "Bollwerk" reiche nicht mehr aus, sagte der Regierungschef Mitte November und stellte 34 weitere Maßnahmen vor. Damit darf die Polizei beispielsweise Flüchtlinge festhalten, ohne sie wie bisher nach spätestens 72 Stunden einem Haftrichter vorführen zu müssen. Sie darf das Gepäck der Einreisenden nach Wertsachen und Geld durchsuchen und Fähren, Bahnen und Busse eigenmächtig stoppen. Das Parlament hat die neuen Regeln bereits angenommen. Die Regierung war so auf die Flüchtlinge konzentriert, dass das EU-Referendum dabei lange in den Hintergrund getreten ist.

"In Dänemark herrscht große Unsicherheit über Europa an sich", sagt Politikerwissenschaftler Beach. Er hält ein "Nein" am Donnerstag für wahrscheinlich. Im letzten EU-Referendum 2014 haben die Dänen zwar dafür gestimmt, sich einem europäischen Patentgericht zu unterstellen, doch das war eine vergleichsweise kleine Sache. Zuletzt hat das Land im Jahr 2000 über eine der vier großen dänischen Ausnahmen abgestimmt, damals ging es um den Euro. Er fiel durch.

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SZ vom 01.12.2015/dayk
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