Süddeutsche Zeitung

EU:Ungarn und Polen bleiben beim Veto gegen Rechtsstaatsmechanismus

Lesezeit: 3 Min.

Die Regierungen beider Länder wollen hart bleiben. Dafür blockieren sie EU-Haushalt und Corona-Hilfen. Von der deutschen Ratspräsidentschaft wird das fast Unmögliche erwartet: einen Kompromiss zu finden.

Von Daniel Brössler, Björn Finke, Cathrin Kahlweit und Matthias Kolb, Berlin/Brüssel/Wien

Ungarn und Polen erhöhen im Streit um den EU-Rechtsstaatsmechanismus den Druck. Nach einem Treffen am Donnerstag, für das Polens Premier Mateusz Morawiecki nach Budapest zu Ministerpräsident Viktor Orbán gereist war, bestätigten die beiden, sie würden am Veto gegen den nächsten EU-Haushalt und den Corona-Hilfsfonds festhalten, solange der Mechanismus davon nicht entkoppelt werde. Denn um solch eine Koppelung zu beschließen, müssten zunächst die EU-Verträge geändert werden. Das Duo gelobte auch, die Blockade nur zu beenden, wenn beide Partner zufriedengestellt sind.

Von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und Bundeskanzlerin Angela Merkel wird nun das fast Unmögliche erwartet: einen Kompromiss zu finden zwischen Polen und Ungarn einerseits, die den Mechanismus ablehnen, und dem EU-Parlament und etlichen Mitgliedstaaten andererseits, die ihn auf keinen Fall opfern wollen. Polens Regierung berichtete am Freitag über ein Telefonat Morawieckis mit Merkel, aber Fortschritte wurden nicht verkündet. In Berlin wiegelte Regierungssprecher Steffen Seibert ab: Er könne über die Gespräche mit Polen und Ungarn keine Auskünfte geben. Es handele sich um eine "noch nicht gelöste Aufgabe". Zudem wurde bekannt, dass László Kövér, der Präsident des ungarischen Parlaments, in einem Brief Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble aufgefordert habe, die Regelung zu verhindern.

"Nofalls muss der Corona-Fonds ohne Polen und Ungarn vereinbart werden"

Auch die EU-Botschafter befassten sich bei ihrem üblichen Treffen am Freitag mit dem Streit - ohne eine Annäherung zu erzielen. "Die Vertreter Polens und Ungarns waren komplett isoliert, niemand hat sie unterstützt", sagte ein EU-Diplomat. "Einige Teilnehmer sagten, dass die Blockade die Arbeitsweise der EU bedrohe, und dass andere Optionen geprüft werden müssten, wenn die Blockade bestehen bleibt." Eine Idee, die in Brüssel kursiert, lautet zum Beispiel, den blockierten Corona-Hilfstopf in Höhe von 750 Milliarden Euro außerhalb des EU-Rahmens aufzubauen, also auf Grundlage eines Vertrags zwischen den 25 willigen Regierungen. Vorbild wäre der Euro-Rettungsfonds ESM.

Diese Lösung fordern auch Franziska Brantner, die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, und Martin Schulz, der frühere EU-Parlamentspräsident und jetzige SPD-Bundestagsabgeordnete. Die Bundesregierung müsse hart bleiben, sagte Schulz der Süddeutschen Zeitung. "Notfalls muss der Corona-Fonds ohne Polen und Ungarn vereinbart werden", verlangte er. Er sei sicher, "dass beide dann schnell einknicken werden".

In Brüssel vermuten einige, dass Orbán bis zur Parlamentswahl im Frühjahr 2022 möglichst viele EU-Gelder ohne strenge Auflagen nach Ungarn lotsen will, um seine Macht weiter abzusichern. Aber zahlreiche Europaabgeordnete machen klar, dass sie es strikt ablehnen, den mit der deutschen Ratspräsidentschaft geschlossenen Kompromiss zur Rechtsstaatlichkeit aufzuschnüren. Orbán und Morawiecki verhielten sich wie "Despoten", sagt etwa Dacian Cioloș, der Chef der liberalen Renew-Fraktion.

Auch Grüne, Sozial- und Christdemokraten stehen zum Rechtsstaatsmechanismus. "Das EU-Parlament wird keinen Millimeter zurückweichen", sagt der CSU-Abgeordnete Manfred Weber, der die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) anführt. Er ist dafür, Fidesz aus der christdemokratischen EVP auszuschließen. Orbáns Partei ist bislang nur suspendiert, noch gehören die zwölf Fidesz-Abgeordneten der Fraktion an. Deren Chef Tamas Deutsch konterte ein Argument Webers, wer nichts zu verbergen habe, müsse auch keine Angst vor dem Mechanismus haben, kürzlich damit, den Slogan hätten sowohl die Gestapo in der Hitler-Zeit wie der Geheimdienst AVH im kommunistischen Ungarn verwendet. Regierungssprecher Seibert sagte dazu: "Beschimpfungen führen ja in Europa sowieso nie zu positiven Resultaten für alle Seiten."

Bei dem Streit geht es um sehr viel Geld - und die Zeit wird knapp. Damit der 1,2 Billionen Euro schwere, sogenannte Mehrjährige Finanzrahmen, eine Art grober EU-Haushaltsplan für die kommenden sieben Jahre, in Kraft treten kann, müssen alle Mitgliedstaaten zustimmen. Rücken Polen und Ungarn nicht bald von ihrem Veto ab, hat die EU von Januar an keinen gültigen Haushalt mehr. In dem Fall würde Brüssel ein abgespecktes Notbudget nutzen. Zum Ärger von Polen und Ungarn könnte die Rechtsstaatsklausel auch für diesen Not-Etat gelten, wenn die übrigen Mitgliedstaaten und das Europaparlament sie noch im Dezember verabschieden. Die beiden Regierungen hätten die Klausel dann nicht verhindert, müssten aber auf Geld verzichten: Polen und Ungarn sind die größten Netto-Empfänger von EU-Geldern.

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