EU-Ratspräsidentschaft:Vorteil Osteuropa

Poland's PM Tusk walks outside the parliament in Warsaw

Osteuropa habe im Rennen um das Amt des Ratspräsidenten "deutliche Vorteile", sagt ein hoher EU-Diplomat. Das wäre Donald Tusks Chance.

(Foto: REUTERS)

Die Staats- und Regierungschefs der EU entscheiden an diesem Samstag über wichtige Spitzenposten. Als einer der Favoriten für das Amt des Ratspräsidenten gilt inzwischen Polens Premier Donald Tusk. Diplomaten befürchten jedoch praktische Probleme, sollte er nach Brüssel kommen.

Von Klaus Brill und Cerstin Gammelin, Warschau/Brüssel

Der Kreis der Kandidaten für die europäischen Spitzenjobs, die auf einem Sondergipfel an diesem Samstag vergeben werden sollen, hat sich am Freitag deutlich eingeengt. Nach andauernden Telefonaten des amtierenden EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy mit den nationalen Hauptstädten sowie diversen bilateralen Kontakten zeichneten sich am Mittag noch drei Kandidaten ab: der polnische Ministerpräsident Donald Tusk (konservativ) und die dänische Premierministerin Helle Thorning-Schmidt (sozialdemokratisch) für das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates; die italienische Außenministerin Federica Mogherini (sozialdemokratisch) als neue Hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik.

Tusk avancierte im Laufe des Freitags zum Favoriten, er ist sich der Unterstützung aus Berlin und London sicher. Weniger deutlich werben die europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten für Thorning-Schmidt. Am Freitag verlautete aus Verhandlungskreisen, Tusk habe sich "zu einem sehr starken Kandidaten" entwickelt.

Osteuropa habe "deutliche Vorteile"

Osteuropa habe im Rennen mit Skandinavien um das Amt des Ratspräsidenten "deutliche Vorteile", sagte ein hoher EUDiplomat. Zugleich warnte er, es sei "noch keine Entscheidung gefallen". Diese werde von den 28 Staats- und Regierungschefs erst auf dem Sondergipfel am Samstag in Brüssel getroffen.

Als neue Außenbeauftragte gilt die Italienerin Mogherini dennoch als gesetzt. Zum einen, weil sich die europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten bei ihrem Treffen im Juli in Paris auf sie festgelegt haben - ein Rückzieher ist kaum denkbar. Zum anderen haben ihre schärfsten Kritiker, die Regierungen aus Zentral- und Osteuropa, ihren Widerstand aufgegeben. Der Grund ist simpel: Sie können darauf hoffen, selbst mit einem Posten bedacht zu werden. Ein "großes Privileg" sei es, sagte der Vertreter eines kleineren Nicht-Euro-Landes, "wenn jemand aus unserer Region Ratspräsident wird" - ohne freilich einen Namen zu nennen.

Was am Freitag auch nicht mehr nötig war, da sich der Kandidat zu diesem Zeitpunkt selbst mit Vehemenz ins Spiel gebracht hatte. Tusk ließ in Warschau verlauten, er prüfe ernsthaft einen Wechsel in die Chefetage des Ratsgebäudes in Brüssel. In Warschau wird genau darüber bereits seit Monaten spekuliert, allerdings hatte der Premierminister bisher stets erklärt, für ihn habe Polen Vorrang. Die von ihm geführte Bürgerplattform (PO), die 2015 eine schwere Wahl zu bestehen hat, verliert in Umfragen.

Eurozone Debt Crisis - General Imagery

Führungsposten in Europa zu vergeben: In Brüssel beraten die Mitgliedstaaten an diesem Samstag über Kommission und Ratspräsidenten.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Das änderte sich am Donnerstagabend, als berichtet wurde, Tusk werde von anderen Regierungschefs gedrängt, das Brüsseler Amt zu übernehmen. Er nehme diesen Vorschlag ernst, erklärte seine Sprecherin. Große Beachtung fand, dass Tusk sich am Donnerstagabend zum Staatspräsidenten Bronisław Komorowski begab, um über die Krise in der Ukraine "und wichtige Entscheidungen für Polen" zu sprechen. Nach einer Weile stießen wichtige PO-Politiker hinzu, unter ihnen mögliche Nachfolgekandidaten: Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak und Parlamentspräsidentin Ewa Kopacz.

"Tusk, du musst wieder ran!"

Kopacz erklärte am Freitag, sie sei bereit, die Nachfolge zu übernehmen. Die Zeitung Gazeta Wyborcza berichtete, Tusks Frau bevorzuge einen Wechsel nach Brüssel und beeinflusse ihren Mann in diesem Sinne. Die Zeitung Rzeczpospolita schrieb: "Tusk, du musst wieder ran!" In Brüssel könne der Premier für Polen viel bewirken, gerade in der jetzigen Krise.

EU-Diplomaten fürchten praktische Probleme, wenn Tusk als Ratspräsident nach Brüssel kommt. Die "hohe Kunst" des Amtes sei es zuzuhören, Interessen auszugleichen, Kompromisse zu finden, Schlussfolgerungen bis ins letzte Wort auszufeilen, Gipfel zu leiten. Dafür sei es "notwendig, die Arbeitssprachen der Europäischen Union zu sprechen" - Tusk spreche weder Englisch noch Französisch. Was wiederum die Dänin Thorning-Schmidt ins Spiel bringt, die vielsprachig ist und Brüssel aus ihrer Zeit im EU-Parlament gut kennt.

Berlin und Paris rangeln heftig

Dass Tusk dennoch als Favorit gilt, hängt weniger mit der Eignung für das Amt als mit dem europäischen Personaltableau insgesamt zusammen. Zwar wird am Samstag nur entschieden, wer Ratspräsident und wer Außenbeauftragte wird. Die Vergabe dieser Ämter ist jedoch mit den wichtigsten Posten in der neuen Europäischen Kommission verbunden. Berlin und Paris rangeln seit Tagen heftig um das Portfolio des Wirtschafts- und Währungskommissars, um den Kurs der künftigen Haushaltspolitik mitbestimmen zu können.

Offiziell obliegt es dem neuen Kommissionschef Jean-Claude Juncker, über die Vergabe der Posten zu entscheiden. Am Mittwoch dieser Woche war er in Berlin, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu sprechen. Vertraulich sei das Gespräch gewesen, hieß es in Berlin. Am Tag danach jedenfalls begann der Aufstieg des Konservativen Tusk als Favorit für den Ratspräsidenten. Und der des französischen Sozialisten Pierre Moscovici für den Posten des Wirtschaftskommissars.

Moscovicis Parteichef Jean-Christophe Cambadélis übte am Freitag nochmals scharfe Kritik an der Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Europa und warf ihr mangelhafte Zusammenarbeit mit Frankreich vor. Die EU könne nicht vorankommen, "wenn es keinen Respekt zwischen beiden Nationen gibt", sagte Cambadélis bei einem Parteitreffen in La Rochelle: "Die SPD reicht uns die Hand, aber Madame Merkel erteilt uns Lektionen. Wir sind eine große Nation, die Anstrengungen unternimmt, um sich zu reformieren - wir sind kein Bundesland!"

Die sozialistische Regierung wirbt in der EU für eine Politik, die weniger sparen und mehr Wachstum fördern will, Präsident François Hollande hatte erst am Donnerstag einen Gipfel der Euro-Staaten gefordert, der nach seinen Vorstellungen eine neue Wachstumsinitiative beschließen soll. Zudem ist die Regierung in Paris verärgert, dass Berlin öffentlich Zweifel an der Eignung ihres Wunsch-Wirtschaftskommissars Pierre Moscovici äußerte.

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