EU-Ratspräsidentschaft:Großes Solo vor dem Schlussakkord

Nicolas Sarkozy versteht es wie kaum ein anderer EU-Ratspräsident, den Abgesandten das Gefühl zu geben, wichtig zu sein.

C. Gammelin

Es ist kurz nach zehn Uhr an diesem grauen Morgen in Straßburg. Nicolas Sarkozy steht am Rednerpult des Europäischen Parlaments. Der amtierende EU-Ratspräsident hat seinen letzten Auftritt vor einem europäischen Gremium dem Parlament vorbehalten, die Abgeordneten erwarten ihn beinahe vollzählig, bereit, sich wieder im Lichte seines Auftrittes zu sonnen.

EU-Ratspräsidentschaft: Nicolas Sarkozy lässt seinen Charme spielen.

Nicolas Sarkozy lässt seinen Charme spielen.

(Foto: Foto: AP)

Der umtriebige Franzose hat es wie kaum ein anderer EU-Ratspräsident vor ihm verstanden, den Abgesandten aus siebenundzwanzig europäischen Mitgliedsstaaten das Gefühl zu geben, wichtig zu sein.

Jetzt ist die Stimmung ambivalent. Die "Selbstkasteiung des Parlaments" drohe, klagt Hartmut Nassauer, der für die CDU im EU-Parlament sitzt, stellvertretend für viele Abgeordnete. Das Parlament soll an diesem Mittwoch das Klimapaket abnicken, das die europäischen Regierungschefs nach "unglaublicher Schlacht" (Sarkozy) gerade beschlossen haben.

Prestigeprojekt Klimaschutz

Es ist das Prestigeprojekt der französischen Präsidentschaft, mit dem die Europäer im internationalen Klimaschutz vorangehen wollen. Und ausgerechnet an diesen Paragrafen dürfen die Volksvertreter nichts mehr ändern, damit es noch in diesem Jahr verabschiedet werden kann.

Sarkozy setzt nun alles daran, den Abgeordneten wieder das Gefühl des Wichtigseins zu geben. "Die Welt braucht ein starkes Europa", beginnt er und blickt in die Runde. "Und das kann es nur geben, wenn Europa geeint auftritt." Das Publikum applaudiert zögerlich, der Franzose legt nach: "Ich habe alles versucht, um zu erreichen, dass Europa selbst denkt. Dass es nicht den Argumenten anderer folgt. Dass Europa zusammensteht", ruft er.

Dann ballt er die rechte Hand zur Faust, rudert mit dem Arm und zerschneidet bei jedem Satz die Luft. "Europa hat der Welt gezeigt: Wir können regieren. Wir laufen niemandem hinterher. Wir sprechen Probleme an, wir schweigen die Dinge nicht tot. Wir warten nicht auf Amerika." Das sei gelungen, obwohl die internationalen Ereignisse beinahe alle Pläne der französischen Ratspräsidentschaft über den Haufen geworfen hätten. Sarkozy hält kurz inne.

Die Krise als Chance

Oder vielleicht gerade deshalb? Das irische Nein zum europäischen Reformvertrag von Lissabon, der Krieg in Georgien, die Finanzkrise und der drohende wirtschaftliche Niedergang in Europa - jedes dieser Ereignisse hätte das Zeug, einen EU-Ratspräsidenten restlos zu überfordern. Der Franzose nutzte die Krisen als Chance, um sein eigenes Profil zu schärfen, im eigenen Land, in Europa - und weltweit.

Beinahe überall schlägt ihm Lob dafür entgegen. Angela Merkel bescheinigte ihm vergangene Woche eine "sehr gute Krisenpräsidentschaft". Da hatte die französische Ratspräsidentschaft gerade den Kompromiss in der umstrittenen Klimagesetzgebung ausgehandelt. Stimmt das Parlament zu, würde der Franzose wenigstens ein Projekt umsetzen, das zu Beginn der Präsidentschaft bereits geplant war.

Umso schöner, dass es ausgerechnet die damalige deutsche EU-Ratspräsidentin Angela Merkel war, die das Klimapaket im Frühjahr 2007 angestoßen hatte, lächelt Sarkozy. "Die Deutschen haben uns den Zeitplan vorgegeben, et voilà, wir haben ihn erfüllt."

Mit Charme zum Ziel

Das gehört zur Charmeoffensive des Nicolas Sarkozy, schließlich weiß keiner besser als er, dass die Atmosphäre zwischen ihm und der Kanzlerin zuletzt nicht immer die beste war. Ob er denn bei dem Geständnis bleibe, das er Merkel anlässlich der Verleihung des Karlspreises in diesem Frühjahr gemacht habe, wurde Sarkozy in Straßburg gefragt. Damals hatte er erklärt: Angela, ich liebe dich. Natürlich, erwiderte Sarkozy. Aber inzwischen habe er gesehen, dass die deutsche Presse die europäischen Entscheidungen der Kanzlerin stets verteidige - anders als er es mit der französischen erlebe. Deshalb müsse er jetzt sagen: Angela, ich beneide dich.

Und dann beschreibt Sarkozy das deutsch-französische Verhältnis in rosigen Farben und erklärt, dass die großen Länder auch den Mut haben müssten, die Europäische Union zu führen. Zwar habe jedes Land in der EU die gleichen Rechte. "Aber die großen Länder haben mehr Pflichten." Wenn die EU internationale Projekte verwirklichen wolle und große Visionen verfolge, müssten die Großen vorangehen und ihre nationalen Egoismen überwinden. "Das habe ich in den vergangenen sechs Monaten gelernt", sagte der Ratspräsident.

So habe er auch die EU in der Finanzkrise zusammengeführt. Erst das Treffen der vier größten europäischen Volkswirtschaften, dann das Treffen der Länder, die den Euro als Zahlungsmittel benutzen. Und schließlich ein Beschluss aller 27. "Solche Krisen zu überwinden, brauchen wir auch künftig eine starke Führung", sagte Sarkozy und fügte hinzu: "Wir dürfen aber auch keinen zurücklassen".

Um diese schwierige Aufgabe zu bewältigen, müsste auch neu über die Führungsstrukturen in der EU nachgedacht werden. "Stellen Sie sich nur mal vor, es gebe eine Kommission ohne einen deutschen und einen französischen Kommissar". Auch der Kommissionspräsident müsse mehr Kompetenzen bekommen. Wenn der Präsident einer Gruppe von 27 Kommissaren vorsitze, müsse er auch den einen oder anderen "nachdrücklich" davon überzeugen können, "uns in der Krise zu helfen und flexibler zu agieren".

Der Applaus der Parlamentarier nach der Rede fiel spärlicher aus als sonst. Vielleicht dachten viele im Stillen, was der Chef der liberalen Fraktion vorher in der Diskussion laut gesagt hatte: "Herr Sarkozy, Sie waren ein guter Ratspräsident. Sie können jetzt gehen und sich um ihre Lieblingssängerin kümmern. Überlassen Sie uns das Ende". Das Ende ist die Abstimmung über das Klimapaket. Sarkozy kann es als Zusage der Abgeordneten verstehen - oder als Drohung.

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