EU-Ratspräsident:Schöngeist mit Schlagkraft

Bereit für einen Anruf von Obama: Herman Van Rompuy hat sich in Belgien als Friedensstifter bewährt, jetzt will er in Europa für Wirtschaftswachstum und innere Sicherheit sorgen.

Oliver Bilger

Die Frage nach Europas Telefonnummer wird immer wieder gerne gestellt. Nach der Brüsseler Entscheidung am Donnerstagabend war es mal wieder so weit. Ein Journalist fragte auf der Pressekonferenz: Wer wird künftig den Hörer abnehmen und für Europa sprechen, wenn Barack Obama anruft? Darauf wussten weder der EU-Ratsvorsitzende Fredrik Reinfeldt noch Kommissionschef José Manuel Barroso oder die neugewählte Außenministerin Catherine Ashton eine spontane Antwort.

Herman Van Rompuy, AP

Für Herman Van Rompuy ist die Position als EU-Ratspräsident bereits das zweite Spitzenamt innerhalb eines Jahres - erst Anfang 2009 war er zum belgischen Premierminister ernannt worden.

(Foto: Foto: AP)

Einzig Herman Van Rompuy zeigte sich schlagfertig: Er warte ungeduldig auf den ersten Anruf des US-Präsidenten.

Politiker durch und durch

Van Rompuy setzte dem betretenen Schweigen der Anderen diplomatisches Geschick entgegen. Das passt zu einem Mann, der als Schöngeist und als Intellektueller gilt und in seiner Freizeit Gedichte schreibt. Leise und diskret tritt er auf.

Außerhalb seiner Landesgrenzen ist der konservative Belgier bisher nahezu unbekannt. Nun steht er als erster ständiger Präsident dem Europäischen Rat, also der Versammlung aller 27 Staats- und Regierungschefs, vor. "Unsere Einheit ist unsere Stärke", erklärte er nach seiner Wahl. "Dialog, Einheit und Handeln" machen für ihn das Projekt Europa aus.

Für den 62-jährigen Katholiken und Vater von vier Kindern ist das neue Amt der zweite Spitzenjob innerhalb eines Jahres. Vor elf Monaten wurde er zum belgischen Premierminister ernannt. Zuletzt sorgte er für Entspannung im Sprachenstreit zwischen Flamen und Wallonen.

Van Rompuy besuchte ein humanistisches Gymnasium, studierte anschließend in Löwen Philosophie und Betriebswirtschaft. Seine berufliche Laufbahn begann er bei der belgischen Nationalbank, später arbeitete er als politischer Spitzenberater.

Politisch aktiv war er erstmals in der Jugendorganisation der Christlichen Volkspartei. Später war Van Rompuy stellvertretender Premier und Finanzminister. Ende 2008 übernahm er das Amt des Regierungschefs. "Ich habe immer Politik gemacht und kann mir nichts anderes vorstellen", erklärte er einmal.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Van Rompuy zu einem möglichen EU-Beitritt der Türkei steht.

Politik der kleinen Schritte

Die belgische Zeitung Le Soir lobte die Entscheidung für Van Rompuy; die EU brauche jemanden, der Kompromisse erzielen könne, der Belgier sei ein "harter Arbeiter". Viele Stimmen in Brüssel sagen jedoch, dass die Regierungschefs einen Moderator gewählt haben, anstelle eines starken Präsidenten. Van Rompuy sagte selbst: "Als Präsident werde ich allen gut zuhören und mich um für alle akzeptable Ergebnisse bemühen."

In der EU will Van Rompuy auf die Politik der kleinen Schritte setzen. "Die Priorität der EU ist die Wirtschaft. Der Rest ist nur Träumerei", sagte er 2006 und ergänzte kürzlich, dass die Union nur durch Kooperation aus der Krise komme.

Gegen EU-Beitritt der Türkei

Im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus fordert er "mehr Anstrengungen für die Sicherheit der Bürger". Seiner Meinung nach müsse die EU nach innen gestärkt werden, um auch nach außen stärker zu sein.

Van Rompuy hatte sich in der Vergangenheit gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen. Nach seiner Ernennung sagte er aber, er wolle trotz seiner persönlichen Meinung an den vereinbarten Beitrittsverhandlungen festhalten.

Im Ausland wird Herman Van Rompuy künftig auf die Staatschefs der Welt treffen, die eigentliche Gestaltung der Beziehungen außerhalb der Union wird aber Außenministerin Ashton übernehmen. Der Präsident soll vor allem nach innen wirken.

Es bleibt noch die Frage, ob Barack Obama bereits Van Rompuys Telefonnummer hat. Seine Glückwünsche zur Wahl ließ der US-Präsident zunächst von einem Sprecher übermitteln.

Der Ratspräsident

Herman Van Rompuy hat schon klargemacht, wie er sich nicht fühlen mag im neuen Amt: als Präsident der EU, als allmächtiger Kapitän des Tankers Europa also. Vielmehr leitet er nur den Europäischen Rat, die Versammlung der Staats- und Regierungschefs, die sich regelmäßig treffen und die grobe Richtung der EU-Politik vorgeben.

Dieses Amt hat er zweieinhalb Jahre inne, einmal kann er wiedergewählt werden. Bisher hatten sich die Regierungschefs jedes halbe Jahr in diesem Job abgewechselt. Nun ist mehr Kontinuität möglich.

"Impulse" solle der Präsident geben, steht im Vertrag von Lissabon, das heißt: Vorschläge machen, Stimmungen sondieren, Kompromisslinien erarbeiten. Van Rompuy wird also oberster Konsensfinder, wobei noch nicht geklärt ist, welche Art von personellem Apparat er für diese Aufgaben erhält. Weniger Wert wird er vermutlich auf den anderen Aspekt seines Jobs legen: die EU auf der internationalen Bühne zu repräsentieren, ihr ein Gesicht zu geben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: