Süddeutsche Zeitung

EU:Partnerin und Zuhörerin

Die neue Kommissionschefin Ursula von der Leyen setzt mit ihrer Reise nach Äthiopien ein Zeichen - die großen Herausforderungen aber warten zu Hause.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Die neue EU-Kommission strebt eine "Partnerschaft auf Augenhöhe" mit den afrikanischen Staaten an. Dies sagte deren neue Präsidentin Ursula von der Leyen am Samstag in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, wo die Afrikanische Union (AU) ihren Sitz hat. Anstatt Peking, Washington, Tokio oder Delhi zum Ziel der ersten Reise ins außereuropäische Ausland zu machen, hat sich die Christdemokratin bewusst für Afrika entschieden.

Bei ihrem Treffen mit Moussa Faki Mahamat, dem amtierenden Kommissionschef der AU, sagte sie, "keinen grandiosen Plan für Afrika" zu haben, sondern vor allem zuhören zu wollen. Die 61-Jährige präsentierte die drei Prioritäten, die sie für die EU habe und die allesamt mit Afrika verknüpft seien. Neben dem Ziel, eine "geopolitische Kommission" anzuführen und den Kontinent fit für die digitale Zukunft zu machen, hat für von der Leyen der Kampf gegen den Klimawandel Priorität.

Es sei ihr wichtig, das Thema Klimaschutz gemeinsam zu bearbeiten und gezielt die Projekte darauf auszurichten, sagte sie der ARD: "Denn auch hier in Afrika, in Addis Abeba, erleben die Menschen bitter die Folgen des Klimawandels." Im Vergleich zur EU hat die AU mit ihren 55 Mitgliedern geringere Kompetenzen, aber für die Brüsseler Behörde kann die AU ein guter Partner sein, um über Migrations- und Sicherheitspolitik zu diskutieren. Von der Leyen formuliert es so: "Ich hoffe, mein Besuch bei der Afrikanischen Union kann eine starke politische Botschaft setzen."

Mit der eintägigen Reise nach Addis Abeba endete von der Leyens erste Woche im Amt und die zweite dürfte eine deutlich größere Herausforderung werden. Im Zentrum seht die Klimapolitik: Am Mittwoch will sie mit Frans Timmermans, dem zuständigen Exekutiv-Vizepräsidenten, den ehrgeizigen "Green New Deal" vorstellen, mit dem unter anderem das Ziel erreicht werden soll, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen.

Die EU-Kommissionschefin will diese Woche ihren "Green New Deal" vorstellen

Skeptische Töne kommen nicht nur aus Teilen der eigenen EVP-Fraktion im Europaparlament, sondern auch von einigen Mitgliedstaaten. Am Donnerstag und Freitag treffen sich die Staats- und Regierungschefs zum EU-Gipfel und Ungarn, Tschechien und Polen zögern weiter, sich zum Stichtag 2050 zu bekennen. Nach SZ-Informationen fordern die Zentraleuropäer unter anderem, die für den Umbau ihrer Wirtschaft nötigen Hilfsgelder für einen Zeitraum bis 2050 und darüber hinaus festzuschreiben. Zugleich betonen sie die Bedeutung der Nuklearenergie, um Klimaneutralität zu erreichen. Diese Position wird etwa aber von Österreich abgelehnt. Insofern müssen sowohl von der Leyen als auch der neue EU-Ratspräsident Charles Michel bei ihrer Gipfel-Premiere viel Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft zeigen.

Dass von der Leyen und ihr Team Äthiopien als Reiseziel wählten, hat jedoch noch einen anderen Grund. Seit April 2018 regiert dort Abiy Ahmed. Der junge Ministerpräsident hat nicht nur den Ausnahmezustand beendet und politische Gefangene freigelassen, sondern es gelang ihm auch, nach mehr als 20 Jahren Frieden mit dem Nachbarn Eritrea zu schließen. Von der Leyen traf mit Präsidentin Sahle-Work Zewde zusammen, die sie ein "außergewöhnliches Vorbild" für die jungen Mädchen und Frauen Äthiopiens nannte.

2020 sollen die Beziehungen zu Afrika ein Schwerpunkt für die EU-Kommission werden: Im Frühjahr wird eine neue Afrika-Strategie vorgelegt, und für Oktober ist in Brüssel ein Gipfel mit allen Staatschefs von Europäischer und Afrikanischer Union geplant. Ahmed bezeichnete es als "richtige Priorität für Europa, mit Afrika zusammenzuarbeiten". Der Ministerpräsident hat es sich zum Ziel gesetzt, die Arbeitslosigkeit in seinem Land mit 110 Millionen Einwohnern zu reduzieren, wobei ihm die von der EU zugesagten 170 Millionen Euro für Förder- und Infrastrukturprogramme helfen werden. Ahmed zeigte sich beeindruckt vom Besuch aus Brüssel. Als seine Autokolonne ein Kamerateam der ARD beim Filmen am Straßenrand sah, ließ er anhalten und sagte über von der Leyen: "Sie ist jemand, die für Wandel steht."

Am Dienstag erhält Ahmed den Friedensnobelpreis, doch vorab gerät er in die Kritik: Der 43-Jährige hat angekündigt, nicht an der traditionellen Pressekonferenz teilnehmen zu wollen und möchte offenbar während des Aufenthalts in Oslo keine Fragen beantworten.

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Quelle:
SZ vom 09.12.2019
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