Süddeutsche Zeitung

Europäisches Parlament:Das Gegenteil von Eva Kaili

Nach dem Korruptionsskandal nominieren die Sozialdemokraten Marc Angel aus Luxemburg für den Posten des Vizepräsidenten im Europaparlament. Nur die Grünen stellen eine Gegenkandidatin auf.

Von Hubert Wetzel, Straßburg

Es mangelt im Europäischen Parlament zum Glück nicht an älteren, gediegenen Herren mit einem unverdächtigen finanziellen Hintergrund. Grundsätzlich ist die Auswahl daher groß, wenn es nötig ist, eine junge, glamouröse Frau zu ersetzen, die dummerweise ihres Amtes enthoben werden musste, weil die Polizei bei ihr daheim Koffer voller Bargeld gefunden hat, deren Herkunft sich wohl nur mit Korruption erklären lässt.

Die Fraktion der Sozialdemokraten im Europaparlament musste daher auch nicht sehr lange suchen, um einen Nachfolger für Eva Kaili zu finden, die 44 Jahre alte Parlamentsvizepräsidentin, die im Dezember wegen mutmaßlicher Bestechung verhaftet worden ist und seither im Gefängnis sitzt - einen Nachfolger, der möglichst in jeder Hinsicht das Gegenteil der geschassten Griechin ist. Die Wahl fiel auf Marc Angel, 59 Jahre alt, gelernter Dolmetscher, studierter Tourismusökonom, gestandener Sozialdemokrat und vor allem: Bürger von Luxemburg. Das ist ein Staat, dessen Steuergesetzgebung zwar zuweilen auf Kritik im Ausland stößt, der jedoch, was Bestechung und Bestechlichkeit angeht, laut dem Korruptionsindex der Organisation Transparency International zu den saubersten der Welt gehört.

Die Liberalen und die Konservativen stimmen wohl für Angel

Luxemburg erreicht demnach auf der globalen Unbestechlichkeitsskala, auf der 180 Länder verglichen werden, 81 von 100 möglichen Punkten und liegt auf Platz 9. Griechenland kommt nur auf 49 Punkte - Platz 58. Das Herkunftsland des Kandidaten, gekoppelt mit dem Wunsch der meisten Sozialdemokraten im Europaparlament, nach dem tiefen Fall ihrer Hoffnungsträgerin Kaili keinesfalls mehr Experimente zu wagen, könnte auch ein Grund gewesen sein, warum Angel sich bei seiner Kandidatur für ein Vizepräsidentenamt in der Fraktion gegen Parteifreund Victor Negrescu durchsetzen konnte. Dieser stammt aus Rumänien - einem Staat, dem Transparency International nur 45 Punkte gibt, was Platz 66 entspricht. Schlechter kommen in der EU nur Ungarn und Bulgarien weg.

Wenn alles glattgeht, müsste Marc Angel an diesem Mittwoch daher ziemlich reibungslos zum neuen Vizepräsidenten des EU-Parlaments gewählt werden. Die europäischen Sozialdemokraten (S&D), die im Parlament die zweitgrößte Fraktion stellen, haben ihn nominiert. Sie werden daher wohl für ihn stimmen, von einzelnen Abweichlern vielleicht abgesehen. Die drittgrößte Fraktion der Liberalen (Renew) hat ihre Unterstützung für Angel bereits zugesichert.

Auch die größte Fraktion, die konservative Europäische Volkspartei (EVP), wird den Luxemburger unterstützen. Das kündigte die Partei am Dienstagabend per Tweet an, nachdem Angel sich in der Fraktion vorgestellt hatte. Denn der Vizeposten, den Kaili geräumt hat und den Angel übernehmen soll, steht nach den internen Absprachen des Parlaments den Sozialdemokraten zu. An dieser Vereinbarung will die EVP offenbar nicht rütteln.

Der Vorsitzende der EVP-Fraktion, der CSU-Politiker Manfred Weber, warf den Sozialdemokraten allerdings vor, nicht ganz so eifrig an der Aufarbeitung des Korruptionsskandals zu arbeiten, wie es notwendig wäre. Denn bisher sind nur S&D-Abgeordnete in die Vorgänge verwickelt. Sie stehen im Verdacht, Bestechungsgelder aus Katar und Marokko angenommen zu haben. "Die Sozialdemokraten tragen offensichtlich die größte Verantwortung" bei der Aufklärung, sagte Weber am Dienstag. Allerdings seien verdächtige Parlamentarier immer noch offiziell Mitglieder der S&D-Fraktion. Er hätte sich wenigstens eine "vorübergehende Distanzierung" gewünscht. "Es gibt schon eine gewisse Enttäuschung über das Verhalten der Sozialdemokraten", sagte Weber. Am Abstimmungsverhalten der Konservativen ändert das aber nichts.

Sind die Grünen unterrepräsentiert?

Nur die europäischen Grünen sperren sich gegen den geplanten Personalwechsel von Kaili zu Angel. Sie haben als eigene Kandidatin die 45 Jahre alte Französin Gwendoline Delbos-Corfield für den freien Vizeposten vorgeschlagen. Das hat zum einen mit dem Gefühl der Grünen zu tun, sie seien als viertgrößte Fraktion in der Führung des Parlaments unterrepräsentiert und verdienten wegen ihrer politischen Stärke von den 14 Vizepräsidentenposten nicht nur einen, sondern zwei.

Zum anderen meinen auch die Grünen, dass die Sozialdemokraten nach dem Auffliegen des Korruptionsskandals allzu schnell wieder zur Tagesordnung übergehen wollen. Es sei schon bizarr, so klagt ein Grüner, dass das Parlament sich zu Beginn dieser Sitzungswoche in Straßburg mit der Aufhebung der Immunität von zwei verwickelten S&D-Abgeordneten befassen müsse - und dann, als sei nichts passiert, am Mittwoch wieder einen Sozialdemokraten auf den Vizeposten wählen solle, der nur wegen dieses Skandals frei geworden ist.

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