David Sassoli:Der "Florentinische Kennedy"

Newly-elected European Parliament President David-Maria Sassoli delivers a speech after being elected during the first plenary session of the newly elected European Assembly in Strasbourg

David Sassoli nach seiner Wahl zum EU-Parlamentspräsidenten.

(Foto: REUTERS)
  • Der Italiener David Sassoli (PD) ist zum Chef des EU-Parlaments gewählt worden.
  • In Italien war er zuvor vor allem als Journalist und Nachrichtensprecher bekannt, einer seiner Spitznamen ist "Florentinischer Kennedy".
  • In Straßburg soll der Europafreund, Antinationalist und Antipopulist Brücken zwischen Sozialisten und Christdemokraten bauen.

Von Oliver Meiler, Rom

Das Leben ist auch eine Wundertüte. Es ist nicht überliefert, wie David Sassoli reagierte, als man ihm in den vergangenen Tagen eröffnete, dass er Präsident des Europaparlaments werden solle. Bis kurz davor hätte er das wohl für unmöglich gehalten. Wenn man noch einige Monate weiter zurückdreht, dann gab es da eine Versuchung, die ihn, wäre er ihr erlegen, sogar den Sitz als normaler Abgeordneter im Parlament gekostet hätte. Der frühere Journalist hatte eigentlich beschlossen, den sozialdemokratischen Partito Democratico zu verlassen und sich der linken Abspaltung "Liberi e Uguali" anzuschließen. "In letzter Sekunde", schreibt La Repubblica, entschied er sich noch um.

Und so erhält Europa nun also für die erste Hälfte der Legislaturperiode den "Florentinischen Kennedy" zum Parlamentsvorsitzenden. "Il bello della sinistra", den Schönen der italienischen Linken. So rief man ihn früher. Er ist jetzt etwas reifer, 63 Jahre alt. David ist der Sohn des toskanischen Intellektuellen Domenico Sassoli, der einst ein einflussreicher Vordenker der Democrazia Cristiana gewesen war. Der Vater gab seinem Sohn seine beiden Leidenschaften mit: für die Presse und für die Politik.

Geboren wurde Sassoli in Florenz. Daher rührt die Liebe zur "Viola", der Violetten, wie sich der örtliche Fußballverein nennt, die Fiorentina. Als er noch ein Kind war, zog die Familie nach Rom. Sassoli wuchs in einer Wohnung bei der Piazza Navona auf, im Herzen der Stadt. Am Gymnasium lernte er seine Frau kennen, eine Architektin, die heute den Wiederaufbau der von einem Erdbeben getroffenen Stadt L' Aquila leitet. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder.

Als junger Mann engagierte sich Sassoli für die "Rosa bianca", das italienische Pendant zur antinazistischen, christlichen Bewegung Weiße Rose in der Nazizeit. Er ist ein progressiver Christdemokrat, beseelt vom politischen Erbe Aldo Moros. Der frühere Premier Moro war ein Brückenbauer zwischen Katholizismus und Kommunismus, ein Vermittler zwischen schier unvereinbaren Welten. Die Roten Brigaden töteten ihn dafür. Sein Geist aber überlebte.

Sassoli machte sich mit exklusiven Geschichten einen Namen als Zeitungsjournalist, wechselte dann zum staatlichen Fernsehen Rai. Da er im Aussehen vage an den amerikanischen Schauspieler Robert Redford erinnerte, setzte man ihn bald vor die Kamera. Auf dem Höhepunkt seiner TV-Karriere moderierte er den "TG1" um 20 Uhr, die Hauptnachrichtensendung im ersten Programm. Ein stiller Liebling der Nation, mit oftmals melancholischer Miene. Als ihn eine Interviewerin einmal fragte, wie es denn so sei als schöner Mann, sagte er: "Machen Sie sich keine falschen Vorstellungen, ich bin ein Langweiler."

Seine Gesinnung versteckte Sassoli nie. Als Vizedirektor von Rai Uno sorgte er dafür, dass Journalisten, die Silvio Berlusconi nicht genehm waren, ihre Sendeplätze trotz politischer Pressionen behalten konnten. Als der Partito Democratico, diese Sammelpartei linker Christdemokraten und ehemaliger Kommunisten, wie sie Moro gefallen hätte, ein prominentes Gesicht für die Europawahlen 2009 suchte, stieß man auf Sassoli. Der gewann auf Anhieb 412 000 Vorzugsstimmen, ein Triumph. Einige Jahre später wollte er Bürgermeister von Rom werden, scheiterte aber bei der Primärwahl.

Den früheren Parteichef des Partito Democratico Matteo Renzi, der wie er aus Florenz stammt und der Viola anhängt, empfand Sassoli als zu liberal, zu rechts gewissermaßen. Darum erwog er, die Partei zu verlassen. Nun soll der Europafreund, Antinationalist und Antipopulist Brücken bauen zwischen den alten Familien im Parlament, den Sozialisten und den Christdemokraten. Vielleicht sieht man Sassoli bald nach, dass es ein Zufall des Lebens war, der ihn an die Spitze beförderte. Als Puzzleteil eines großen Postengemäldes.

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