Es braucht eine Mischung aus Mut und Zuversicht, wenn man unter Zeitdruck die Dinge komplizierter macht als unbedingt nötig. Die Christdemokraten im Europäischen Parlament sind nun nicht nur so mächtig wie lange nicht, sondern offenbar auch recht mutig unterwegs. Das ließ sich am Donnerstag studieren, als die Abgeordneten im Brüsseler Plenum über das umstrittene Gesetz zum Schutz der Wälder abstimmten. Sie nutzten die Gelegenheit, es noch weiter zu entkernen, als es die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedstaaten vorhatten, die Christdemokraten stimmten gemeinsam mit rechtsextremen Kräften – und riskieren jetzt, dass zu wenig Zeit bleibt, um noch einen Kompromiss zu erreichen.
Auf das weitreichende, längst beschlossene Regelwerk waren die vielen betroffenen Unternehmen so schlecht vorbereitet, dass die Kommission es um ein Jahr verschieben möchte. Dazu hatte sie lediglich einen Paragrafen geändert, was der Ministerrat bereits abgesegnet hat. Und bis Anfang der Woche sah es so aus, als trüge auch das Parlament die Verschiebung mit.
Die Entwaldungsverordnung ist Teil des europäischen Grünen Deals
Dann aber legte die federführende CDU-Abgeordnete Christine Schneider im Namen ihrer Fraktion 15 weiter reichende Änderungsanträge vor, zog ein paar davon in letzter Minute zurück und erreichte für den Rest jeweils eine Mehrheit, unter anderem gemeinsam mit den Rechts-außen-Fraktionen „Patrioten für Europa“ und „Europa der Souveränen Nationen“. Letztere wird von der AfD angeführt. Die Folge: Jetzt müssen Rat und Parlament über diese Änderungen neu verhandeln. Einigen sie sich nicht bis Mitte Dezember, träte das Gesetz, wie ursprünglich geplant, zum Jahreswechsel in Kraft.
Die Europäische Entwaldungsverordnung (kurz EUDR) ist ein Teil des klimapolitischen Programms von Kommissionschefin Ursula von der Leyen, bekannt als Grüner Deal. Im- und Exporteure sollen künftig lückenlos nachweisen, dass ihre Waren nicht zur Entwaldung oder Waldschädigung beigetragen haben. Produkte, für die nach 2020 Wald gerodet wurde, sollen demnach tabu sein. Das Gesetz umfasst Kaffee, Kakao, Kautschuk, Palmöl, Rindfleisch, Soja und Holz sowie mehr als 800 aus diesen Rohstoffen hergestellte Produkte, etwa Leder, Reifen, Schokolade oder Papier. Die Idee dahinter: Europas Konsumenten sollen nicht mehr wie bisher zur globalen Entwaldung beitragen.
Der Widerstand in den betroffenen Branchen ist groß
Das Gesetz sollte von 2025 an gelten, allerdings war der Widerstand aus den betroffenen Branchen und etlichen Mitgliedstaaten so groß, dass sich die Kommission für eine Verschiebung entschied. Angesichts des „neuartigen Charakters“ der EUDR, des „straffen Zeitplans und der Vielzahl internationaler Interessengruppen“ sei die zusätzliche Übergangszeit von einem Jahr eine Lösung, „um die Akteure weltweit bei einer reibungslosen Implementierung (…) zu unterstützen“, so die Behörde.
Das reichte der EVP nicht. Unterstützt unter anderem von den italienischen Abgeordneten der Fratelli d’Italia, der rechtpopulistischen Fidesz-Partei aus Ungarn und dem französischen Rassemblement National brachten sie ihre Änderungswünsche durchs Plenum. Darunter eine neue „Null-Risiko“-Kategorie, die bestimmte Länder aus dem Geltungsbereich des Gesetzes weitgehend ausklammern würde: solche, in denen die waldbedeckte Fläche seit 1990 nicht geschrumpft ist und die internationale Klimaabkommen ratifiziert haben. Das trifft etwa auf Finnland zu.
Verfechter der Verordnung zeigten sich enttäuscht. „Die von der Entwaldungsverordnung betroffenen Unternehmen brauchen schnellstmöglich Klarheit“, sagte die umweltpolitische Sprecherin der Europa-SPD, Delara Burkhardt. „Mit ihren unverantwortlichen politischen Spielchen verursacht die EVP eine Hängepartie für alle Beteiligten.“ Jutta Paulus von den deutschen Grünen sagte unter Verweis auf den EVP-Fraktionschef von der CSU: „Donald Trump wäre stolz auf Manfred Webers Kampf gegen die EU-Umweltpolitik. Mit ihrem Vorstoß gegen das Waldschutzgesetz bricht Webers EVP die längst erodierende Brandmauer noch weiter und baut eine Brücke zur rechten Seite des politischen Spektrums.“
Die Stimmen der AfD? Für die federführende CDU-Politikerin kein Problem
Die CDU-Umweltpolitikerin Schneider hielt dagegen. Ein Aufschub reiche nicht aus, sagte sie, denn er ändere nichts am Gesetz. „Heute hatten wir zum ersten Mal seit der Europawahl die Gelegenheit, unser Versprechen einzulösen: Bürokratie abzubauen“, sagte sie. Man wolle Entwaldung stoppen, allerdings ohne Europas Bauern, Unternehmen und die internationalen Partner zu überfordern.
Dass teilweise die Stimmen der AfD den Unterschied machten, hält Schneider für unproblematisch. Man arbeite nicht mit rechtsextremen Fraktionen zusammen. „Aber sie haben die Anträge unterstützt, weil sie sie für richtig hielten“, sagte Schneider, und in der Vergangenheit hätten die Rechts-außen-Kräfte auch linke Vorhaben unterstützt. „Das sind alles Mitglieder des Parlaments“, sagte sie.
Jetzt steht die EVP vor dem Problem, dass es unter den EU-Ländern bislang weder eine Mehrheit für die von ihr gewünschten inhaltlichen Änderungen gab noch große Lust auf neue Verhandlungen unter Zeitdruck.