Straßburg:Vier Kandidaten bewerben sich als EU-Parlamentspräsident

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Die Grüne Ska Keller (mit dem Vizechef der Europäischen Grünen, Philippe Lamberts, und EU-Ratspräsident Donald Tusk, rechts) möchte Parlamentspräsidentin werden. (Foto: AFP)
  • Das Europaparlament wählt heute seinen neuen Parlamentspräsidenten - und könnte dabei dem Europäischen Rat bereits seine Eigenständigkeit beweisen.
  • Auch ob die Europaabgeordneten in etwa zwei Wochen dem Vorschlag der Staats- und Regierungschefs zustimmen werden, die deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen zur EU-Kommissionschefin zu machen, ist offen.
  • Vor allem Sozialdemokraten und Grüne sind unzufrieden mit dieser Personalie.
  • In Deutschland wird derweil schon über einen Nachfolger von der Leyens an der Spitze des Verteidigungsministeriums debattiert.

Es war ein zähes Ringen in Brüssel. Am Ende verständigten sich die Staats- und Regierungschefs am Dienstagabend auf eine Überraschungskandidatin: Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) soll künftig die EU-Kommission führen. Ob das Europäische Parlament dieser Entscheidung zustimmen wird, ist allerdings keineswegs sicher.

An diesem Mittwoch befasst sich das Parlament jedoch zunächst mit seiner eigenen Führung: Gegen neun Uhr stimmen die Europaabgeordneten über ihren Parlamentspräsidenten ab. Nach den Vorstellungen des Europäischen Rates soll ein Kandidat der Sozialdemokraten für die erste Hälfte der Amtszeit gewählt werden. Zur Mitte der Amtsperiode solle dann der Kandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) gewählt werden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schlägt hierfür den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) vor, der mit seiner Bewerbung als EU-Kommissionspräsident gescheitert ist.

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Ob die Parlamentarier allerdings den Vorschlägen der Staats- und Regierungschefs folgen, ist offen. Als Europäisches Parlament könne man nicht die Regierungen über den Parlamentspräsidenten entscheiden lassen, twitterte die grüne Europaabgeordnete Ska Keller. Sie ist eine von vier Kandidaten, die sich um die Nachfolge von Antonio Tajani bewerben. Die Sozialisten schicken den Italiener David-Maria Sassoli ins Rennen. Die Linksfraktion tritt mit der spanischen Abgeordneten Sira Rego von der Partei Izquierda Unida an und die rechtskonservative EKR mit ihrem Vorsitzenden Jan Zahradil aus der Tschechien.

Barley gegen von der Leyen

Ein Kandidat benötigt die absolute Mehrheit, um die Wahl zu gewinnen. Es kann maximal vier Wahlgänge geben, am letzten dürfen nur noch die zwei Kandidaten mit den meisten Stimmen teilnehmen. Das Amt des Parlamentspräsidenten wird für zweieinhalb Jahre besetzt. Er kann danach aber ein zweites Mal gewählt werden.

Erst in etwa zwei Wochen wird das Europaparlament über die Besetzung der EU-Kommissionsspitze abstimmen. So viel Zeit hat die vom Europäischen Rat nominierte von der Leyen also noch, um die Abgeordneten von sich zu überzeugen. Vor allem Sozialdemokraten und Grüne lehnen das Personalpaket ab, weil mit der Wahl von der Leyens nun doch das Spitzenkandidatenprinzip ausgehebelt wurde.

"Zumindest in meiner Fraktion werden viele gegen diesen Vorschlag stimmen", sagte die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, im ZDF. Die deutsche Ministerin sei in Europa kaum bekannt. Die Vorschläge seien eine "große Enttäuschung", schrieb die Vizevorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Tanja Fajon, auf Twitter.

Auch die kommissarische SPD-Führung kritisierte die Brüsseler Entscheidung. Dass am Ende keiner der Kandidaten zum Zuge komme, die auch schon im Europawahlkampf in Erscheinung getreten seien - der Konservative Weber, der Sozialdemokrat Frans Timmermans oder die Liberale Margrethe Vestager - führe den Versuch, die EU zu demokratisieren "ad absurdum", teilten Malu Dreyer, Thorsten Schäfer-Gümbel und Manuela Schwesig am Dienstagabend mit.

Auch Europas Grüne lehnen das Personalpaket des EU-Rates ab. "Diese Hinterzimmerlösung nach Tagen der Verhandlungen ist grotesk", sagte die Grünen-Fraktionschefin Ska Keller am Abend mit. "Wir brauchen nicht den kleinsten Nenner, der persönliche Interessen und politische Parteien befriedigt."

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Der Grünen-Europaparlamentarier Sven Giegold erklärte auf Twitter: "Ein bitterer Personalvorschlag!" Von der Leyen sei keine Spitzenkandidatin gewesen und in Deutschland laufe ein Untersuchungsausschuss wegen nicht ordnungsgemäßer Vergabe von Beraterverträgen. "Europa verdient etwas Besseres!"

Die Staats- und Regierungschefs warben bereits am Abend um die Zustimmung für die deutsche Ministerin. EU-Ratspräsident Donald Tusk betonte in einer Mitteilung, dass von der Leyen im Falle ihrer Wahl "die erste Frau wäre, die die Europäische Kommission leitet". Mit dem Gesamtpaket von IWF-Chefin Christine Lagarde als künftiger EZB-Präsidentin, dem belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel als EU-Ratspräsidenten und dem spanischen Außenminister Josep Borrell als EU-Außenbeauftragtem habe sich der Rat für "eine perfekte Genderbalance" entschieden.

Kanzlerin Merkel sagte, sie freue sich auch, dass mit von der Leyen zum ersten Mal eine Frau die Position des EU-Kommissionspräsidenten bekleiden werde. "Das finde ich eigentlich auch schön."

Spahn, Tauber, Wadephul? Wer von der Leyen folgen könnte

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte zu der Nominierung von der Leyens: "Das ist für mich eine sehr gute Kandidatur." Er habe sich mit großer Kraft für diese Bewerbung eingesetzt. Die derzeitige Bundesverteidigungsministerin habe viele Jahre Erfahrung als Ministerin und die Fähigkeit für die Nachfolge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Zudem sei sie europäisch geprägt, in Brüssel geboren und spreche Französisch. Er appellierte an die "Verantwortung" der SPD, dem Personalpaket des Rates zuzustimmen. Wer dies nicht tue, sei nicht solidarisch mit den Kollegen der anderen Parteien. Man habe einen guten Kompromiss und vier überzeugte Europäer gefunden.

In Deutschland hat derweil schon die Diskussion über einen möglichen Nachfolger für von der Leyen begonnen. Gesundheitsminister Jens Spahn sowie die Verteidigungsexperten Johann Wadephul und Henning Otte (alle CDU) sollen für das Amt im Gespräch sein. Auch Ex-CDU-Generalsekretär und Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber hat demnach Chancen auf das Amt. Er habe sich in der Truppe große Beliebtheit erworben, hieß es aus mehreren Quellen. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, die ebenfalls als mögliche Nachfolgerin von der Leyens genannt worden war, habe abgelehnt, hieß es.

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