EU-Parlament:Kein Verständnis für "autoritäre Türkei"

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Europa-Abgeordnete äußern scharfe Kritik am Expansions­kurs Ankaras im Mittelmeer und in Libyen. Der EU-Außen­beauftragte Borrell fühlt sich gar an Papst Pius V. und seine Allianz gegen die Osmanen erinnert.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Mitunter kann schon die Überschrift einer Debatte eine klare Botschaft aussenden. Dass im Europaparlament am Donnerstag über "Stabilität und Sicherheit im östlichen Mittelmeerraum und die negative Rolle der Türkei" diskutiert wurde, hatten die Christdemokraten der Europäischen Volkspartei (EVP) beantragt, deren Parteifreunde in Griechenland und Zypern regieren. In der vergangenen Woche hatte der Außenbeauftragte Josep Borrell beide Staaten besucht und ihnen angesichts der in den Augen der EU illegalen Erdgas-Bohrungen der Türkei vor Zyperns Küste erneut Solidarität zugesichert.

Drei Tage nach seiner Reise nach Ankara beschönigt Borrell die Lage der bilateralen Beziehungen nicht und kritisiert das aggressive Vorgehen im östlichen Mittelmeer und dass die Türkei "zu einem der wichtigsten Akteure" im libyschen Bürgerkrieg geworden ist. Aber der Spanier macht zu Beginn deutlich, dass ihm der Fokus auf die "negative Rolle" nicht so recht behagt. Borrell erinnert daran, dass die Türkei mehr als drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen und großzügig unterstützt habe, zudem sei das Land "wichtiger Partner, Beitrittskandidat und Nato-Mitglied".

Die von Griechenland und Zypern sowie von Frankreich geforderten Sanktionen gegen Ankara hält Borrell jedoch für kontraproduktiv. "Der aktuelle negative Trend in unseren Beziehungen muss gestoppt und umgekehrt werden", fordert er. Die bestehende Dynamik von Vergeltungsmaßnahmen führe nicht zu mehr Sicherheit und Stabilität im Mittelmeerraum, dieser lasse sich nur über Dialog erreichen. Wegen der als illegal erachteten türkischen Erdgas-Erkundungen vor Zypern hat die EU bereits Sanktionen gegen Ankara verhängt.

Keine Entspannung in Sicht

Borrell will am Montag bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel über das weitere Vorgehen diskutieren, doch die Zeichen stehen nicht auf Entspannung. Zyperns Präsident Nikos Anastasiades nennt die Türkei einen "Unruhestifter" und fordert, Bilanz zu ziehen. Die Frage sei, wie viel Spielraum die EU-Staaten einer "unverschämten" Türkei geben wollten, so das Staatsoberhaupt der seit 1974 geteilten Insel. Frankreich beschuldigt die Türkei, gegen das UN-Waffenembargo gegen Libyen zu verstoßen und Griechenland beklagt Verletzungen des griechischen Luftraums durch türkische Kampfflugzeuge sowie die Instrumentalisierung von Migranten.

Hier zeigte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Montag bei der Pressekonferenz mit Borrell Härte. Die Türkei werde die Grenze zu Griechenland für Flüchtlinge weiterhin offenhalten, solange keine Lösung gefunden wird, sagte Çavuşoğlu und versicherte, zum Dialog bereit zu sein.

Daran hat Manfred Weber (CSU) hörbar Zweifel. Der EVP-Fraktionschef fordert, sich nicht von Präsident Recep Tayyip Erdoğan erpressen zu lassen. Er will über das türkische Interesse an der Zollunion mit der EU Druck ausüben: Diese sei von "existenzieller wirtschaftlicher Bedeutung" für Ankara. Weber fordert erneut den Abbruch der bislang nur ausgesetzten EU-Beitrittsverhandlungen: "Dieses Kapitel sollte beendet werden."

Von einem "Witz" spricht die Liberale Hilde Vautmans: "Diese autoritäre Türkei kann nicht Teil der Europäischen Union werden." Das Land müsse sich reformieren, bevor die EU das Verhältnis aufwerten könne. Für die Sozialdemokraten beklagt Nacho Sánchez Amor, dass sich die Türkei immer weiter von der EU entferne und es an Vertrauen mangele.

Am Ende der mehr als einstündigen Debatte erweist sich der Titel als passend: Verständnis für die aktuelle türkische Politik wird in keinem Redebeitrag geäußert. EU-Chefdiplomat Borrell fühlt sich gar an Papst Pius V. erinnert, der im 16. Jahrhundert eine "Heilige Allianz" gegen das Osmanische Reich formte. Es gelte doch, neue Konfrontationen wie jüngst zwischen türkischen und französischen Kriegsschiffen zu vermeiden, anstatt neue Eskalationen heraufzubeschwören, so Borrell. Er appelliert an die Europäer, sich "konstruktiv der komplexen Realität" anzunehmen und nach gemeinsamen Interessen mit der Türkei zu suchen, um die Beziehungen zu verbessern.

© SZ vom 10.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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