Viktor Orbán hat lange Zeit, mit viel Eifer und großem Erfolg an dem Ruf gearbeitet, er sei Wladimir Putins Mann am Tisch der Europäer. Seit gut zwei Jahren fließt ein wesentlicher Teil der politischen Energie, die der ungarische Regierungschef in Brüssel einsetzt, in Bemühungen, die europäische Hilfe für die Ukraine zu verzögern, zu verringern und zu behindern – mithin Dinge zu tun, die mehr im Interesse des Diktators und Kriegstreibers in Moskau sind als im Interesse Kiews und der Europäischen Union, der Ungarn immerhin angehört.
Orbán hält die Strategie der EU, die Ukraine militärisch und finanziell in ihrem Verteidigungskrieg zu unterstützen und gleichzeitig Russland durch Wirtschaftssanktionen zu bestrafen, für gescheitert. Die führe nur zu immer mehr Toten, sagt er. Der autokratisch regierende Ungar macht auch keine Anstalten, die Abhängigkeit seines Landes von russischen Gas- und Ölimporten zu verkleinern. Im Juli trat er seine 26 Kolleginnen und Kollegen in der EU diplomatisch vors Schienbein, indem er ohne Absprache nach Moskau flog, um dort mit Putin über „Frieden“ zu reden. In Brüssel nennen deswegen manche Diplomaten Orbáns Namen in einem Atemzug mit dem Wort „Verräter“.
Am Donnerstag, als sich die europäischen Staats- und Regierungschefs zum Brüsseler Gipfel versammelten, zeigte Orbán ihnen jedoch, dass er nicht nur für Putin als Sachwalter tätig sein kann. Sondern auch für einen anderen Politiker, der von der Unterstützung der Ukraine wenig hält: Donald Trump. Obwohl etliche Kollegen versuchten, ihn noch umzustimmen, machte es Orbán durch sein Veto praktisch unmöglich, dass sich die USA an einem neuen Hilfskredit für Kiew beteiligen können.
Orbán will das Thema bis zur US-Wahl hinauszögern
Damit verhilft Orbán seinem Freund Trump, den er in diesem Jahr zweimal besucht hat, zu einer günstigen Lage, falls der die US-Präsidentschaftswahl Anfang November gewinnt. Denn der noch amtierende Präsident Joe Biden hat im Sommer im Namen der Vereinigten Staaten zugesagt, dass Washington 20 Milliarden Dollar von einem geplanten Ukraine-Kredit der G-7-Länder in Höhe von insgesamt 50 Milliarden Dollar übernehmen wird. Das Darlehen, das die USA, die EU, Japan und Kanada gemeinsam bereitstellen wollten, sollte noch in diesem Jahr abgewickelt werden, also vor einer möglichen Amtsübernahme Trumps im Januar 2025.
Das heißt: Trump, der immer wieder über die amerikanische Hilfe für die Ukraine schimpft und mal mehr, mal weniger offen mit deren Ende droht, könnte just zu einem Zeitpunkt ins Amt kommen, zu dem die USA Kiew satte 20 Milliarden Dollar zukommen lassen. Das wäre politisch peinlich, würde Trump aber auch ein Druckmittel aus der Hand nehmen. Der Ex-Präsident hat angekündigt, nach einem Wahlsieg einen Friedensschluss zwischen der Ukraine und Russland zu „vermitteln“. Das ist allenfalls realistisch, wenn Kiew de facto zur Kapitulation gezwungen wird – und das wiederum ist leichter, wenn die Ukraine Geldprobleme hat.
Und so tat Orbán Trump am Donnerstag den Gefallen und blockierte den EU-Beschluss, der nötig gewesen wäre, um die amerikanische Beteiligung an dem 50-Milliarden-Dollar-Kredit zu ermöglichen. Diese Macht hat der Ungar, weil das Darlehen sehr kreativ finanziert werden soll: durch die Erträge, die jedes Jahr auf das im Westen eingefrorene Vermögen der russischen Zentralbank anfallen. Der größte Teil davon liegt in der EU fest, etwa 200 Milliarden Euro, die Schätzungen zufolge jährlich zwischen drei und fünf Milliarden Euro abwerfen sollen. Und nach jetzigem Stand muss der Sanktionsbeschluss, durch den die russichen Milliarden immobilisiert wurden, von der EU alle sechs Monate verlängert werden – und zwar einstimmig.
„Orbán mag Trump, Orbán mag Putin, Trump mag Putin.“
Diese Frist freilich ist der US-Regierung zu kurz, das Erpressungspotenzial einzelner EU-Länder – allen voran Ungarn – ist ihr zu groß. Washington ließ die EU daher wissen, dass der Zeitraum zwischen den Erneuerungsbeschlüssen auf mindestens drei Jahre ausgedehnt werden müsse. Andernfalls könne Amerika sich nicht mit den zugesagten 20 Milliarden Dollar an dem Darlehen beteiligen, sondern höchstens mit einem symbolischen Betrag, etwa fünf Milliarden Dollar. Doch diese Fristverlängerung von sechs auf 36 Monate kann die EU nur im Konsens beschließen. Und Ungarn legte ein Veto dagegen ein. Orbán teilte seinen Kolleginnen und Kollegen mit, dass er erst die US-Wahl abwarten wolle. Diplomaten vermuten, dass der Ungar auf einen Sieg Trumps spekuliert – und dass sich dann eine amerikanische Beteiligung an dem Kredit ohnehin erledigt hat.
Das bedeutet nicht, dass Kiew kein neues Geld bekommt. Die EU-Regierungen haben bereits beschlossen, ihren zunächst ebenfalls auf 20 Milliarden Dollar festgelegten Anteil an dem Kredit auf bis zu 35 Milliarden Euro aufzustocken. Dieser Beschluss konnte von den Europäern mit Mehrheit getroffen werden, Orbán hatte kein Veto. Ungarn stimmte sogar dafür, obwohl – wie in Brüssel erstaunt angemerkt wird – ein größerer EU-Anteil an dem Darlehen letztlich auch das Haftungsrisiko für das EU-Mitglied Ungarn erhöht, sollte die Finanzierung des Kredits, so wie sie geplant ist, doch schiefgehen. Für Trump handelt Orbán also sogar gegen Ungarns ökonomische Interessen, die ihm sonst heilig sind.
Da die Gefahr, dass der Kredit an den EU-Staaten und deren Haushalten hängen bleibt, aber als gering gilt, dürfte sich die Rechnung unterm Strich für Viktor Orbán lohnen. Er macht sich nicht nur beim russischen Präsidenten beliebt, sondern womöglich auch beim nächsten amerikanischen. Man könne da eine gewisse „Zuneigung unter starken Männern“ beobachten, sagt ein Diplomat. „Orbán mag Trump, Orbán mag Putin, Trump mag Putin.“