Süddeutsche Zeitung

EU:Nord und Süd streiten über Corona-Hilfen

Der EU-Gipfel vertagt die Entscheidung über finanzielle Unterstützung für betroffene Staaten.

Von Björn Finke, Brüssel

Manche Staats- und Regierungschefs der EU wählten dramatische Worte. Ein Ergebnis konnten sie damit freilich nicht erzwingen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte während des Videogipfels am Donnerstagabend, es gehe um "das Überleben des europäischen Projekts". Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez warnte, dieses europäische Projekt sei in Gefahr, sollten sich die Regierungen nicht auf eine "gemeinsame, mächtige und wirksame Antwort auf diese Wirtschaftskrise" einigen. Doch die Meinungsunterschiede über Finanzhilfen für klamme Staaten während der Corona-Pandemie waren nicht zu überbrücken. Nun wollen die Politiker in zwei Wochen wieder über das Thema debattieren.

Dabei waren die Hoffnungen groß, dass der Gipfel ein Signal der Einigkeit sendet, nachdem die EU-Staaten anfangs unkoordiniert auf die Corona-Krise reagiert hatten. Aber der Disput überschattete alles - auch, dass sich die Politiker bei der Unterredung tatsächlich auf manches verständigten: So soll die EU-Kommission Vorschläge für besseres Krisenmanagement auf europäischer Ebene erarbeiten. Außerdem wollen sich die Staaten abstimmen, wenn sie nach einem Abflauen der Pandemie die Beschränkungen im Alltag lockern. Die Wirtschaft soll dann mit einem "Wiederaufbau-Plan und beispiellosen Investitionen" angekurbelt werden, wie es in der Abschlusserklärung heißt.

Allerdings ist das - mehr oder weniger - ferne Zukunft. Was Finanzhilfen für Staaten während der Pandemie, also jetzt, angeht, brachen die alten Gräben zwischen Nord und Süd, zwischen sparsamen und hoch verschuldeten Ländern wieder auf. Jene Gräben, die vor wenigen Jahren schon die Überwindung der Finanz- und Staatsschuldenkrise erschwert hatten.

Dabei hatte die Euro-Gruppe, das Gremium der Finanzminister aus den Staaten mit der Gemeinschaftswährung, vor der Videoschalte bereits einen Vorschlag erarbeitet. Der Euro-Rettungsschirm ESM soll demnach sogenannte vorsorgliche Kreditlinien zur Verfügung stellen. Länder können Darlehen im Wert von bis zu zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung bei dem Europäischen Stabilitätsmechanismus abrufen. Würden das alle 19 Staaten mit der Gemeinschaftswährung nutzen, kämen üppige 240 Milliarden Euro zusammen. Der Gipfel sollte grünes Licht geben, damit die Finanzminister die Details festzurren können.

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte und sein spanischer Amtskollege Sánchez klagten aber in der Konferenz, dieses Programm biete zu wenig europäische Solidarität. Beide Länder sind besonders von der Pandemie betroffen und ächzen ohnehin unter hohen Schulden. Conte drohte zwischenzeitlich, die Abschlusserklärung nicht mitzutragen - ein Eklat. Der Italiener verlangte "innovative Finanzinstrumente". Bereits kurz vor dem Gipfel hatten Conte, Sánchez, Macron und sechs weitere Staats- und Regierungschefs solch ein neuartiges Instrument in einem Brief gefordert: Corona-Bonds, also gemeinschaftlich herausgegebene EU-Staatsanleihen, deren Einnahmen in die Pandemie-Bekämpfung fließen.

Weil auch finanzstarke Staaten wie Deutschland hinter diesen EU-Schuldscheinen stünden, würden Anleger sie als sicher ansehen - die Zinsen wären niedrig. Für Italien und Spanien wären solche Anleihen sehr vorteilhaft gegenüber einem Kredit vom Euro-Rettungsschirm ESM: Das Darlehen muss Rom oder Madrid allein an den ESM zurückzahlen, eine EU-Anleihe hingegen begleichen alle Staaten. Doch eher sparsame Regierungen wie die deutsche lehnen die Vergemeinschaftung von Schulden seit jeher ab; sie wollen nicht für Länder mit weniger Haushaltsdisziplin mithaften. An ihrem Widerstand ließen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs der Niederlande, Österreichs und Finnlands am Donnerstagabend keinen Zweifel aufkommen.

Am Ende stand ein Kompromiss: In der Abschlusserklärung heißt es, die EU-Finanzminister sollten binnen zwei Wochen Vorschläge entwickeln. Der ESM wird nicht erwähnt - ein Zugeständnis an Conte. Da die Minister aber beim ESM-Programm am meisten Fortschritte gemacht haben, ist klar, dass dieses einer der Vorschläge sein wird, der den Staats- und Regierungschefs für den nächsten Gipfel präsentiert wird. Vorher müssen die Minister klären, ob die Kredite des Rettungsschirms an Auflagen geknüpft sein sollen. Conte lehnt dies ab. Ein zweiter Vorschlag könnte sein, die Europäische Investitionsbank EIB, das Förderinstitut der EU, noch stärker für den Kampf gegen die Krise einzuspannen. Dass die Minister auf einmal den jahrelangen Streit um gemeinschaftliche Anleihen beilegen, ist hingegen unwahrscheinlich - daran ändert auch die dramatische Rhetorik von Macron und Sánchez nichts.

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SZ vom 28.03.2020
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