Klimapolitik:EU streitet über Naturschutz

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Ein Beispiel für Renaturierung: Bei Mönchwinkel im Landkreis Oder-Spree wurden einige Schleifen und Nebenarme wieder an die Spree angebunden. (Foto: Volker Hohlfeld/Imago)

Europas Klimakommissar Timmermans kämpft für ein Gesetz zur Renaturierung zerstörter Land- und Seeflächen - und droht zu scheitern. Die EVP führt das Wohl der Bauern ins Feld.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Wenn der Agrarausschuss des Europaparlaments tagt, ist das natürlich kein Spektakel, das die Welt bewegt. Aber die Sitzung am Montagnachmittag hätte durchaus großes Publikum verdient gehabt. Es ging um die Zukunft der Landwirtschaft, um verzweifelte Bäuerinnen und Bauern, um die Klimakatastrophe und aussterbende Arten - und nicht zuletzt um den Europawahlkampf 2024.

Auf dem Podium saßen der deutsche Christdemokrat Norbert Lins als Vorsitzender des Ausschusses und der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans als EU-Klimakommissar. Sie behandelten einander mit dem Mindestmaß an professioneller Freundlichkeit, eine Verständigung gab es nicht.

Timmermans verweist auf die Sturzfluten, die in Norditalien gute Böden wegspülten

Frans Timmermans verteidigte zwei seiner zentralen Umwelt- und Klimagesetze, das sogenannte Naturschutzpaket. Es ging zum einen um die Pestizidverordnung, die den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2030 um 50 Prozent reduzieren soll. Und es ging vor allem um ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Es hat zum Ziel, 20 Prozent der Ökosysteme in Europa bis 2030 zu renaturieren. Damit würde Europa auch seine Verpflichtungen aus der Biodiversitätskonferenz 2022 in Montreal erfüllen, wo die Weltgemeinschaft beschloss, mindestens 30 Prozent der zerstörten Land- und Seeflächen zu renaturieren.

Timmermans beharrte darauf: alles wissenschaftlich fundiert - und unabdingbar, um Landwirten langfristig ihre Zukunft zu sichern. Die EU dürfe keine Zeit mehr verlieren. Er berichtete von einem Besuch in Italien, wo die Sturzfluten gerade beste landwirtschaftliche Böden ins Meer gespült hätten.

Führt den Kampf um das Naturschutzpaket offenbar allein, denn seine Chefin Ursula von der Leyen schweigt: EU-Klimakommissar Frans Timmermans. (Foto: Julien Warnand/DPA)

Lins dagegen berichtete von einem Besuch in den Niederlanden, wo er "in weinende Bauerngesichter geblickt" und "dramatische Situationen erlebt" habe. Die Menschen in der Landwirtschaft seien gerade erst dabei, die ökologischen Förderrichtlinien zu erfüllen, die ihnen die neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU vorgibt. Von den Naturschutzgesetzen fühlten sie sich nun überfordert. Deshalb will die Parlamentsfraktion des CDU-Politikers Lins, die vom CSU-Mann Manfred Weber geführte Europäische Volkspartei (EVP), das Naturschutzpaket bekämpfen - zum Wohle der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes, wie es heißt.

Die Pestizidverordnung hängt im Gesetzgebungsverfahren der EU fest, fraglich, ob es eine Verständigung gibt. Keine Chance scheint das EU-Renaturierungsgesetz zu haben. An diesem Dienstag lehnte es der Agrarausschuss, angeführt von der EVP, in Bausch und Bogen ab. Der federführend zuständige Umweltausschuss soll es demnächst endgültig beerdigen. Die sogenannte Von-der-Leyen-Koalition aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen, die das Programm der Kommissionspräsidentin trägt, scheint damit Geschichte zu sein.

Immerhin, die Grünen halten noch zu Timmermans

"Ich weigere mich, die EVP aufzugeben", sagt Sozialdemokrat Timmermans. Er hat Verhandlungen angeboten. Den Kampf um das Gesetz führt er offenbar allein, von seiner Chefin ist nichts zu hören. Ursula von der Leyen hatte den Klima- und Umweltschutz in den Mittelpunkt ihrer Amtszeit gestellt, wird aber vermutlich bei der Wahl 2024 als Spitzenkandidatin der EVP antreten. Bei deren Kernwählerschaft macht sie sich mit dem Thema keine Freunde.

Die Abgeordneten im Agrarausschuss warfen Timmermans an den Kopf, er befördere den Hunger in der Welt, er verachte die Bauern, er solle zurücktreten. Auch manche Sozialdemokraten scheinen zu zweifeln, ausdrücklich unterstützt wurde er immerhin von den Grünen. So war das auch, als der Kommissar danach den Umweltausschuss besuchte. Die EVP habe bislang alle Klimagesetze unterstützt, sagte Esther de Lange als führende Umweltpolitikerin ihrer Partei, das Naturschutzpaket habe damit nichts zu tun. Dabei bedachte sie ihren Landsmann mit erstaunlich giftigen Blicken.

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Timmermans beharrt darauf, die Gesetze seien Teil des Grünen Deals, ohne sie könne die EU ihre Klimaziele nicht erreichen. Die Renaturierung von Sümpfen zum Beispiel soll einen großen Teil der CO₂-Emissionen der Landwirtschaft kompensieren. Zudem widersprach er der Darstellung, das Gesetz blockiere den Ausbau erneuerbarer Energien. Der Ausbau von Wind- und Sonnenkraftanlagen sei von den Vorgaben ausgenommen. Stark übertrieben sei die Darstellung der EVP, die Landwirte würden noch einmal pauschal zehn Prozent ihrer Nutzflächen verlieren. Ohnehin müssten die Mitgliedstaaten die Vorgaben individuell umsetzen.

In einem Punkt gab der Kommissar seinen Kritikern recht: Es wäre besser gewesen, alle Umwelt- und Klimagesetze, die die Landwirtschaft betreffen, auf einmal vorzustellen - und nicht häppchenweise, was noch mehr zur Verunsicherung beitrage. Im Juli wird die Kommission wohl drei weitere Verordnungen vorstellen. Es geht um gesunden Boden, Gentechnik und Tierwohl.

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