EU-Migrationspolitik:Mehr Geld für Wachtürme

EU-Migrationspolitik: Ukrainische Geflüchtete am ungarischen Grenzbahnhof Zahony.

Ukrainische Geflüchtete am ungarischen Grenzbahnhof Zahony.

(Foto: Christopher Furlong/Getty)

Nach einer hitzigen, nächtlichen Debatte über den Umgang mit illegaler Einwanderung einigen sich die EU-Länder in Brüssel auf eine Abschlusserklärung. Das Fazit: Die Migrationspolitik der EU wird härter, vor allem nach außen.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Wenn man zwei Dutzend genervte Staat- und Regierungschefs in einen Raum sperrt und sie über ein hoch umstrittenes Thema reden lässt, dann bekommt man? Richtig - Krawall. Insofern war es kein Wunder, dass die Debatte darüber, wie die Europäische Union mit den steigenden Zahlen illegaler Einwanderer umgehen soll, beim EU-Gipfel in Brüssel in der Nacht zu Freitag zu Streit führte.

Die schlechte Laune hatte mit der Gipfel-Choreografie zu tun. Ratspräsident Charles Michel teilte die 27 Staats- und Regierungschefs am frühen Nachmittag in vier Gruppen auf, die sich dann nacheinander mit dem angereisten ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selenskij trafen. Jene Premierministerinnen und Premierminister, die gerade nicht mit Selenskij redeten, hockten derweil herum und warteten. Und warteten. "Das sind keine Leute, die es gewöhnt sind, warten zu müssen", sagte ein Diplomat voll böser Vorahnung.

Als das Thema Migration dann schließlich am Abend zur Sprache kam, hatte wohl keiner der Regierungschefs mehr Lust, Höflichkeiten auszutauschen. Denn zum einen machen die Zahlen vielen Regierungen Angst. Im Jahr 2022 sind die Asylanträge in Europa im Vergleich zum Vorjahr um fast 50 Prozent auf 924 000 gestiegen. Hinzu kommen etwa vier Millionen geflüchtete Ukrainer.

Der politische Schwerpunkt der Debatte hat sich weit nach rechts verschoben

Zum anderen hat sich der Blick in der EU auf illegale Migration in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Der politische Schwerpunkt der Debatte hat sich weit nach rechts verschoben, es geht um Abwehr, Ausweisung, Rückführung. Außer Deutschland gibt es kein großes EU-Land mehr, das Einwanderung als grundsätzlich positiv definiert. Beim Gipfel wurde das deutlich: Bundeskanzler Olaf Scholz argumentierte, Europas Wirtschaft brauche Einwanderer. Sein ungarischer Kollege Viktor Orbán hingegen, der in der Union noch vor einigen Jahren als xenophober Mauerbefürworter gegolten hatte, verlangte selbstbewusst - oder schlecht gelaunt - Geld, um die Höhe des Zauns an seiner Südgrenze auf fünf Meter zu verdoppeln.

Grob gesagt, spaltet das Thema Migration die EU in zwei Lager. Das eine besteht aus Staaten wie Italien, Griechenland, Ungarn und Bulgarien, in denen derzeit viele illegale Einwanderer und Flüchtlinge aus Afrika und Asien ankommen. Den EU-Regeln zufolge, an die sich aber niemand hält, müssten sich diese sogenannten primären Aufnahmestaaten, in denen die Migranten den Boden der EU betreten, um die Menschen kümmern - sie registrieren, unterbringen, ihre Asylanträge prüfen.

In der Praxis lassen sie die Zuwanderer jedoch vielfach weiterziehen in andere EU-Länder wie Österreich, Belgien oder die Niederlande. Diese sogenannten sekundären Aufnahmestaaten bilden ein anderes Lager in der Einwanderungsdebatte. Sie wollen es sich nicht länger gefallen lassen, dass die Grenzländer Migranten einfach innerhalb der EU weiterschieben.

Es sei notwendig gewesen, das diese beiden Lager einmal offen und hart miteinander streiten, sagten Diplomaten nach dem Treffen. Das habe die Luft geklärt und auf beiden Seiten zu mehr Verständnis geführt.

Wie die Zahl der Migranten gesenkt werden soll, ist in der EU umstritten. Manche Länder fordern, dass die Union vor allem mehr beim Schutz der Außengrenze tun soll, unter anderem durch die Finanzierung von Sperranlagen und Zäunen. Andere EU-Länder pochen hingegen eher darauf, dass sich die Grenzstaaten stärker um die Migranten kümmern sollen. Die gesamte Kette an Stationen müsse einbezogen werden, sagte ein niederländischer Diplomat, also auch die Grenz- und Transitländer in der Union. Und alle EU-Länder drängen zusammen zudem dazu, dass die Institutionen in Brüssel mehr Druck auf die Herkunftsländer der Migranten ausüben, damit diese ihre Staatsbürger zurücknehmen, wenn sie kein Asyl in der Union bekommen.

Reise- und Handelsabkommen sind künftig ein Hebel, um in der Migrationspolitik Druck zu machen

In Brüssel wurde in der Nacht darum gerungen, diese verschiedenen Positionen in eine Abschlusserklärung zu fassen, auf die sich alle einigen können. Das Ergebnis: Die Migrationspolitik der EU wird härter, vor allem nach außen. Staaten, die abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen wollen, müssen zum Beispiel damit rechnen, dass die EU ihnen die Visafreiheit oder Zollvergünstigungen streicht. Reise- und Handelsabkommen sind künftig ein Hebel, um in der Migrationspolitik Druck zu machen.

Zudem forderten die Regierungen die EU-Kommission auf, den Mitgliedsländern mit Geld beim Ausbau des Grenzschutzes zu helfen. Die entsprechende Formulierung in der Abschlusserklärung wurde im Vergleich zu den Entwürfen verschärft - allerdings nicht so eindeutig, dass die Kommission nun tun müsste, was sie sich bisher strikt zu tun weigert, nämlich direkt für Stahlzäune und Stacheldraht an den EU-Außengrenzen zu bezahlen. Das müssen die EU-Länder auch künftig aus ihren eigenen Haushalten finanzieren. Sie können jedoch Entlastung aus Brüssel bekommen: Die Kommission soll künftig mehr Geld dafür bereitstellen, um andere Grenzschutzinfrastruktur zu bezahlen, Kameras und Sensoren zum Beispiel oder Fahrzeuge und Wachtürme. Den EU-Regierungen bleibt somit mehr eigenes Geld für Zäune und Mauern.

Eine Grenzschutzanlage bestehe ohnehin aus vielen "statischen und dynamischen" Teilen, heißt es dazu aus der Kommission. Wer da was bezahle, sei nicht so wichtig. Entscheidend sei politisch nur eins: dass die Zahl illegaler Einwanderer sinke.

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