Ministerrat in Toulouse:Deutschland und Frankreich - ein Duett der Gegensätze

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich (Foto: dpa)

Das Verhältnis der Verbündeten wird derzeit von Enttäuschungen geprägt. Das liegt auch daran, dass Merkel und Macron bei Inhalt, Stil und Interessen so schlecht zusammenpassen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Wenn die Kabinette diesen Mittwoch in Toulouse zu den deutsch-französischen Regierungskonsultationen aufmarschieren, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Staatenbeziehung von Problemen geplagt ist. Der neue Élysée-Vertrag, unterzeichnet im Januar, hat unterschiedliche Erwartungen geweckt, die bisher nicht erfüllt wurden. Und weil Angela Merkel und Emmanuel Macron als Unterzeichner immer stärker ihre unterschiedlichen Charaktere zeigen, entwickelten sich die vergangenen Monate so enttäuschend.

Macron hat - in seiner Wahrnehmung - seit der programmatischen Europarede vom September 2017 an der Sorbonne einen Tiefschlag erlebt. Die Ablehnung der französischen EU-Kommissionskandidatin Sylvie Goulard, betrieben auch von deutschen Europaabgeordneten, sieht er als frustrierenden Höhepunkt einer deutschen Lähmungskampagne an.

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Merkel nimmt hingegen nur noch einen sprunghaften, aktionistischen Präsidenten wahr, der Grundsatzreden in immer kürzerer Frequenz, aber dafür wachsender Länge hält. Einen Höhepunkt muss Macron demnach auf der Botschafterkonferenz seines Landes Ende August geliefert haben, als er in knapp zwei Stunden das Bild von Frankreich als Balance-Macht in der Welt entwarf. Was er darunter versteht, hatte er im Spiel mit Russlands Präsidenten und mit Iran gezeigt. Die Iran-Krise wollte er mit einem 15-Milliarden-Kredit für Teheran entschärfen, ehe ihm offenbar klar wurde, dass es dafür keine Sicherheiten und Verfahrenswege gab. Der Plan starb schnell wieder.

Wladimir Putin stellte er die G-7-Mitgliedschaft in Aussicht und später eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa - getragen von dem Gedanken, dass man Russland nicht "an China" verlieren dürfe. Das Argument teilt Merkel zwar, aber niemals würde sie in große Gesten verfallen, ohne das Kleingedruckte zu kennen: Wie, bitteschön, steht es dann um die Ostukraine oder die Krim? Wo bitte ist der erste Schritt Putins in Richtung Befriedung? Der von Macron versprochene Ukraine-Gipfel der Normandie-Gruppe kam jedenfalls nicht zustande.

Macron sagt, er glaube nur an eine Sache: "eine Strategie der Kühnheit und der Risikobereitschaft". Merkel würden solche Sätze kaum über die Lippen kommen, geschweige denn würde sie danach handeln, weil sie vor allem die Kleinteiligkeit und Mühsal der Außenpolitik sieht.

Macrons außenpolitische Vision nimmt immer mehr gaullistische Züge an. Die Schaukelpolitik des Generals hat die alte Bundesrepublik umso stärker an die Seite der USA und Großbritanniens gedrückt. Das ist gut 50 Jahre her. Heute verschieben sich die Weltgewichte in atemberaubendem Tempo, was den Nachfahren de Gaulles offensichtlich zu neuen Kühnheiten anstachelt. Diese Verwegenheit ist der deutschen Außenpolitik nicht gegeben, zumal sie aus der Erfahrung lebt, dass Europa in Schieflage gerät, wenn der Riese in der Mitte sein Gewicht verlagert.

So haben sich in Deutschland und Frankreich unterschiedliche Strategien herausgebildet, wie umzugehen ist mit dieser neuen Welt. Macron sagt, Frankreich habe Verbündete, folge aber nur seiner eigenen Linie. Merkel sagt, Deutschland habe Verbündete und stimme seine Linie mit ihnen ab. Das ist der Unterschied, der im Rest der EU zu Verwirrung führt. Wer hat recht? Wem folgen? Als Macron Russland umgarnte, waren in Berlin die irritierten Anrufer aus dem Baltikum in der Leitung. Als Macron eine eigene Westbalkan-Initiative ankündigte, fragte man sich in Brüssel, warum er seine Energie nicht in die EU-Maschinerie steckt.

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Kommentar von Matthias Kolb

Macrons Stil ist typisch für diese Zeit, in der Männer am Gaspedal die großen Maschinen aufheulen lassen, ohne sich um den Motor zu scheren. Alles oder nichts: Das ist Donald Trumps Idee vom Weltgetriebe, heute vor, morgen zurück, ein großer Gipfel, jede Menge Druck, und am Ende löst sich das Problem - oder auch nicht. Wer Macron studiert, sieht die Verachtung für die Plumpheit Trumps, aber gleichzeitig die Bewunderung für die große Geste. Merkel ist beides fremd, ihr politischer Stil kennt vor allem die Langstrecke und den Wunsch nach Stabilität.

Die Kollision von Inhalten, Stil und Interessen ist nichts Neues im deutsch-französischen Verhältnis. Damit kann man leben und arbeiten, solange beide Seiten pfleglich miteinander umgehen. In den vergangenen Monaten aber war die Fassade nur noch schwerlich aufrecht zu erhalten. Zu offensichtlich war der Missmut.

Mag sein, dass Macron seinen Moment als Großstratege erst noch kommen sieht, weil er für die Zeit nach Merkels Abschied aus der Politik ein Führungsvakuum erwartet. Mag sein, dass Macron auch bei den Deutschen einen Wunsch nach mehr audace, nach mehr Kühnheit erwartet. Aber wie lassen sich seine große Worte auch in große Taten verwandeln, ohne die Regeln zu verletzen und die Partner zu verprellen? Macron hat darauf noch keine Antwort geliefert.

© SZ vom 16.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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