EU-Mercosur:„Dieses Abkommen ist eine politische Notwendigkeit“

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Der Meilenstein von Ursula von der Leyen ist in Montevideo beschlossen worden. Mit der EU-Chefin freuen sich der argentinische Präsident Javier Milei (l-r), der uruguayische Präsident Luis Lacalle Pou, der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva und der paraguayische Präsident Santiago Pena. (Foto: EITAN ABRAMOVICH/AFP)

Mit großen Worten besiegelt Ursula von der Leyen  die Verhandlungen über das Mercosur-Handelsabkommen. Sie geht ein hohes Risiko ein – mit voller Absicht.  Die EU-Mitgliedstaaten müssen dem Deal noch zustimmen.

von Jan Diesteldorf und Christoph Gurk, Brüssel/Buenos Aires

Gerade einmal fünf Tage ist ihre neue Mannschaft im Amt, da spricht die Präsidentin der EU-Kommission schon von einem „Meilenstein“. Auftritt Ursula von der Leyen in Montevideo, inmitten der Staats- und Regierungschefs von Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay, sie trägt zur Feier des Tages einen Zweireiher in EU-Blau mit goldenen Knöpfen. „Dieses Abkommen“, sagt sie, „ist nicht nur eine wirtschaftliche Chance. Es ist eine politische Notwendigkeit.“ Es liefere den Beweis, dass sich Demokratien aufeinander verlassen könnten, es bedeute „mehr Arbeitsplätze und gute Arbeitsplätze, mehr Auswahl und bessere Preise“.

25 Jahre hat es gedauert bis zu diesem Moment, in dem sie den Abschluss der Verhandlungen mit den Ländern des südamerikanischen Mercosur-Staatenbunds verkündet. Ein Vierteljahrhundert nach Beginn der Verhandlungen steht also dieser Deal, der einen gemeinsamen Wirtschaftsraum für mehr als 770 Millionen Menschen schaffen soll. Zölle verschwinden, Investitionen werden erleichtert und neue Absatzmärkte geschaffen. Und doch ist der Abschluss nur ein Zwischenschritt, der Anfang eines Prozesses, an dessen Ende die EU-Staaten, das Europäische Parlament und Parlamente in Südamerika über das Schicksal dieses Abkommens entscheiden werden.

Macrons Schwäche erlaubt es Brüssel, Fakten zu schaffen

Die Kommissionchefin geht mit dem Abschluss des Deals ein hohes politisches Risiko ein. Bis kurz vor der Reise nach Montevideo wog sie im engen Zirkel das Für und Wider ab, sprach mit Paris, Warschau, Berlin, ließ das Misstrauensvotum in der französischen Nationalversammlung geschehen. Die Schwäche Emmanuel Macrons, auf dessen langer Liste an Problemen das bei den Franzosen verhasste Mercosur-Abkommen in diesen Tagen nicht ganz oben steht, erlaubte es von der Leyen, Fakten zu schaffen. Die Verhandlungen abzuschließen und den EU-Mitgliedstaaten die Entscheidung abzuverlangen: Wollt ihr lieber neue Märkte, oder, wie Macron es formuliert, „landwirtschaftliche Souveränität“

Gleichwohl steht von der Leyen diesmal fest an Deutschlands Seite. Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich zuletzt so vehement für das Abkommen eingesetzt wie kaum ein anderer. Mit Ausnahme der Agrar- und Umweltverbände frohlockt jetzt die deutsche Industrie ob der neuen Perspektiven.

Zum Ende der Woche wollte von der Leyen nach Paris reisen, um am Samstag an der Feier zur Wiedereröffnung der Notre-Dame-Kathedrale teilzunehmen. Dort wäre sie erstmals wieder auf Macron getroffen – doch dazu wird es jetzt nicht kommen. Es habe „Terminprobleme“ gegeben, hieß es seitens der Kommission. Zur Erinnerung: Dass sie 2019 Kommissionschefin wurde, war die Idee des französischen Präsidenten. Er steht heute politisch schwer angeschlagen da – während von der Leyen zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit jene Machtlücke füllt, die Macron und das von einer geschäftsführenden Rumpfmannschaft regierte Deutschland hinterlassen.

Der Deal mit Lateinamerika kann Europa weiter spalten

Das lateinamerikanische Staatenbündnis („Mercado Común del Sur“, gemeinsamer Markt des Südens) besteht seit mehr als 30 Jahren, es hat viel getan für die Region. Handelsschranken wurden abgebaut, Arbeits- und Wohnrecht vereinfacht, sogar eine gemeinsame Währung war mal Thema. Zuletzt aber häuften sich die Probleme: Staatschefs wurden Feinde, einzelne Mitgliedsländer versuchten, Handelsabkommen außerhalb des Bündnisses zu schließen. Uruguay etwa sucht die Nähe zu China; Argentiniens neue Regierung den Schulterschluss mit den USA.

Zwar laufen die Geschäfte der Mercosur-Länder generell gut, und der Handel mit China boomt allerorten: Peking ist binnen zwei Jahrzehnten zum wichtigsten Wirtschaftspartner fast aller Länder in Südamerika geworden, kauft massenhaft Soja, Fleisch, Eisen und Öl, leiht Geld, baut Häfen, Kraftwerke und Zugstrecken – allerdings ausgerichtet auf chinesische Bedürfnisse. Deshalb wachsen auch die Bedenken; Brasilien hat sich unlängst sogar gegen eine Mitgliedschaft in Chinas Neue-Seidenstraße-Initiative entschieden.

Das Abkommen mit der Europäischen Union bietet nun die Chance, alte Geschäfte aus- und neue aufzubauen. Die Mercosur-Länder sollen dabei in der Theorie mehr sein als reine Rohstofflieferanten. Umweltschützer dagegen fürchten, dass jetzt noch mehr Wald abgeholzt wird für Weiden und Felder, dass es noch mehr Monokulturen gibt und noch mehr Pestizide versprüht werden. Gewerkschaften warnen vor Arbeitsplatzverlusten wegen einer Flut an Importen aus der EU – so ähnlich argumentieren auch französische Viehzüchter, die sich vor Fleisch aus dem Mercosur fürchten.

So sehr der Deal in einer ökonomischen Logik überzeugen mag, so gefährlich kann er in der EU politisch noch werden. Er spaltet die Union in zwei Lager. Und er verdeutlicht, wie groß das Zerwürfnis zwischen Berlin und Paris ist. Ob es um Staatshilfen in der Gaskrise geht, eine gemeinsame europäische Rüstungspolitik oder die Zölle auf chinesische Elektroautos – welches politisch heikle Thema man auch studiert, Deutschland und Frankreich sind sich uneins.

Im Sommer dürfte es zum Showdown kommen im Rat der Mitgliedstaaten. Denn über EU-Handelsabkommen verhandelt zwar exklusiv die Kommission, beschließen müssen sie aber die Mitgliedstaaten – das dauert noch, es wird erst geschehen, wenn der Text juristisch bereinigt und in alle EU-Sprachen übersetzt ist. Bislang stellen sich außer Frankreich auch die Niederlande, Irland, Österreich und Polen gegen das Abkommen – wenn auch meist mit der Einschränkung „in seiner jetzigen Form“.

Inzwischen hat sich auch Italiens postfaschistische Regierungschefin Giorgia Meloni eingeschaltet. „Die Bedingungen, den Deal zu unterzeichnen, sind nicht erfüllt“, hieß es am Donnerstag in Rom. Ohne Italien hätte das Abkommen keine Mehrheit und damit auch keine Zukunft. Gut möglich, dass es in dieser Angelegenheit wieder einmal auf die derzeit mächtigste europäische Regierungschefin ankommen wird. Ganz so, wie Meloni das mag.

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