Diesmal sind die Traktoren weder schwer noch zahlreich genug, um den Deal noch plattzuwalzen, und selbst die Unterstützung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron scheint nicht mehr zu reichen. Er redet jenen Menschen am Steuer ihrer Landmaschinen das Wort, die zu Beginn dieser Woche Teile Frankreichs lahmlegen. Gemeinsam mit den Bauern wehrt sich Macron gegen das Handelsabkommen der EU mit den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten, das kurz vor dem Abschluss steht. Wenn alles nach dem Plan der Europäischen Kommission und einer Mehrheit der Mitgliedstaaten läuft, wird es Anfang Dezember unterschrieben, nach fünfundzwanzigjährigen Verhandlungen.
Macron spricht in diesen Tagen aus Südamerika zur heimischen Bevölkerung. Bevor er zum G-20-Gipfel in Rio de Janeiro reiste, hatte er den argentinischen Präsidenten Javier Milei in Buenos Aires besucht, um den Kollegen gegen das Abkommen zu mobilisieren. Frankreich werde den EU-Mercosur-Deal in seiner jetzigen Form nicht unterzeichnen, versprach er. Er habe Milei mitgeteilt, dass das Abkommen „für die Reindustrialisierung Argentiniens sehr schädlich und sehr schlecht für unsere Landwirtschaft wäre“, sagte er. Immerhin kann Macron, der in der Pariser Nationalversammlung keine Mehrheit mehr hat, auf die Unterstützung aller politischen Parteien in Frankreich setzen. Wenn es um Konkurrenz für die heimischen Rinderzüchter geht, ist die Nation wieder geeint.
Unternehmen auf beiden Seiten versprechen sich neue Chancen
Ob das aber mehr sein wird als das letzte Aufbäumen eines geschwächten Pariser Staatschefs gegen dieses Abkommen, entscheidet sich in den kommenden Wochen. In diplomatischen Kreisen in Brüssel hält man es für wahrscheinlich, dass die Kommission es darauf ankommen lässt: Sobald sie eine politische Einigung mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay und Bolivien erzielt hat und das Abkommen unterzeichnet ist, legt sie den Vertrag zur Abstimmung im Rat der Mitgliedstaaten vor. Und dort könnten die Gegner des Deals – neben Frankreich vor allem Österreich und Irland – überstimmt werden. Das ginge, weil es im Rat nur eine Mehrheit von etwa zwei Drittel der EU-Länder braucht.
Die Wahl Donald Trumps, der statt Freihandel vor allem neue Zölle im Sinn hat, und die globale Expansion Chinas – auch und gerade in Lateinamerika – haben aus Sicht der EU den Druck noch einmal erhöht, das Abkommen endlich ins Ziel zu bringen. Mit dem Vertrag entstünde eine der größten Freihandelszonen der Welt. Sie würde rund 780 Millionen Menschen umfassen. Unternehmen auf beiden Seiten versprechen sich neue Chancen durch den Wegfall von Zöllen und einen einfacheren Marktzugang. 93 Prozent aller EU-Zölle sollen wegfallen, das Handelsvolumen zwischen der EU und den fünf Mercosur-Ländern könnte nach Schätzungen der Kommission um bis zu 30 Prozent steigen. In Brüssel wird das Abkommen stark vereinfacht mit den Worten „Autos gegen Rindfleisch“ zusammengefasst. Logisch, dass Bundeskanzler Olaf Scholz zu den größten Befürwortern des Deals gehört.
Mercosur soll die EU auch aus der Abhängigkeit von China befreien
Der französische Widerstand hingegen ist kurz vor dem Abschluss noch einmal stärker geworden. Die Regierung in Paris wirbt offen um Unterstützer in anderen EU-Hauptstädten, um sich eine Sperrminorität im Rat zu sichern. Er habe der Kommissionspräsidentin mitgeteilt, „dass das Abkommen nicht akzeptabel ist und auch nicht sein wird“, sagte Premier Michel Barnier nach einem Treffen mit Ursula von der Leyen vorige Woche.
Für die Kommissionschefin ist das Abkommen Teil der Strategie, neue Exportmärkte zu erschließen, Länder des globalen Südens enger an die EU zu binden und sich zumindest ein Stück weit aus der Abhängigkeit von China zu befreien. Schon zu Beginn ihrer ersten Amtszeit vor fünf Jahren hatte sie eine „geopolitische Kommission“ ausgerufen; die Kommission schloss daraufhin unter anderem Handelsabkommen mit Chile, Kenia und Neuseeland ab.
Mit Blick auf Mercosur sagte von der Leyen am Sonntag in Rio, die Verhandlungen müssten jetzt „erfolgreich abgeschlossen werden“. Es sei wichtig, „alle 27 Mitgliedstaaten und auch die Mercosur-Staaten“ einzubeziehen. So sieht das auch Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament. Er befürwortet das Abkommen seit Langem, warnt allerdings mit Blick auf die innenpolitische Lage in Frankreich: „Einen so wichtigen Mitgliedstaat zu überstimmen, birgt ein zu großes politisches Risiko.“
Noch sind einige Punkte offen, die auf den letzten Metern ausverhandelt werden müssten. Den Mercosur-Staaten geht es um den Zugang zu öffentlichen Aufträgen in der EU und um Umweltauflagen im nachträglich angefügten Nachhaltigkeitskapitel des Abkommens. Macron wusste in Buenos Aires zu berichten, auch Milei sehe den Deal kritisch. Und: „Ursula von der Leyen hat großen Respekt vor der Stimme Frankreichs. Wir wollen nur einen fairen Deal und arbeiten weiterhin zusammen“, sagte er.