EU: Libyen-Einsatz und Flüchtlinge:Stresstest der Nationen

Libyen-Einsatz, Euro-Rettung und Flüchtlinge aus Nordafrika: Die Welt zerrt an der Europäischen Union und die Mitgliedsländer reagieren mit der Nationalisierung ihrer Politik. Irgendwann werden auch sie merken, dass sie ihre Probleme nicht alleine lösen können. Aber dann ist es zu spät.

Stefan Kornelius

Roberto Maroni von der italienischen Lega Nord ist nicht der Typus Politiker, von dem man Ratschläge über europäische Solidarität annehmen muss. Maroni ist Innenminister, weil er vor allem nach innen, für das heimische Publikum, wirkt. Sein Regierungsamt wird vom Ministerpräsidenten persönlich in Gefahr gebracht, der Mann hat gerade bei Gericht zu tun. Das Land könnte Abwechslung gebrauchen, also hysterisiert Maroni den Einwandererstrom auf die Insel Lampedusa - und das gleich doppelt.

Den Bootsflüchtlingen verspricht er Papiere, damit die mehrheitlich aus Tunesien stammenden jungen Männer in das Land ihrer Sehnsucht weiterreisen können, nach Frankreich. Mit diesem Versprechen löst Maroni erst die Migrationswelle aus, vor der er seit Wochen warnt. Für die Europäer hat Maroni eine andere Botschaft parat: Er kündigt der Gemeinschaft die Solidarität, weil die sich ihrerseits nicht solidarisch zeige mit den Italienern - und schickt die Flüchtlinge auf die Reise über die Grenzen weiter nach Norden. Damit zerstört er das Vertrauen, das Europas Staaten aufbringen müssen, um ihre Solidargemeinschaft aufrechtzuerhalten.

Italiens Probleme sind lösbar. Die meisten der 25.000 Flüchtlinge kommen aus Tunesien und sind auf der Suche nach einem besseren Leben. Das ist nicht verwerflich, könnte aber eine Gesellschaft - auch die italienische - überfordern, wenn die Zahlen noch steigen (noch sind sie nicht wirklich hoch). Die EU hat klare Regeln für Wirtschaftsmigranten: Solange sie kein Asyl beantragen oder legal in die Union gelangen, müssen sie in ihre Heimat zurückkehren.

Ihr Schicksal zu verbessern, muss dennoch ein hohes Ziel der europäischen Politik sein, schon aus blankem Eigennutz. Dazu muss die EU eine Einwanderungspolitik entwerfen und sich zweitens den inneren Problemen der Nachbarländer südlich des Mittelmeers zuwenden. Für die Einwanderung gibt es schändlicherweise noch keine belastbare Lösung, für die Unterstützung zum Beispiel gerade von Tunesien reift sie. All dies muss man sauber trennen von den Schicksalen der Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern wie Libyen oder der politisch Verfolgten aus den Unterdrückerstaaten der Subsahara, die wie bisher auch politisches Asyl beantragen. Viele sind das nicht.

Europas Entkopplung kommt prächtig voran

Maronis Eskalationsstrategie ist deswegen bezeichnend, weil sie auf das eigentliche Problem europäischer Politik verweist. Die Union entkoppelt sich, der Hybride aus Nationalstaat und Staatengemeinschaft hat in den Wochen hoher internationaler Anspannung zu viele nationale Wallungen im Blut. Man muss nicht die ausgelutschte Vokabel von der Solidarität beschwören, um den Befund zu belegen: In Europa herrscht eine gereizte Stimmung, und es kann auch nicht weiter verwundern, dass die Ursache für das Missverhältnis mit Geld zusammenhängt und mit der Nation, die über besonders viel davon verfügt: Deutschland.

Die EU funktioniert nach dem alten Schaukelprinzip europäischer Politik: immer schön die Waage halten, nur nicht das Gewicht auf eine Seite verschieben. Mit der Euro-Rettung ist diese Regel außer Kraft gesetzt worden, musste außer Kraft gesetzt werden, weil das Schwergewicht Deutschland den Euro zu seinen Konditionen retten wollte. Plötzlich sieht sich selbst Frankreich genötigt, den haushalts- und wirtschaftspolitischen Wünschen aus Berlin zu entsprechen, um seine Bonität bei den Banken nicht zu riskieren. Plötzlich fühlen sich die Großschuldner Portugal, Irland und Griechenland von Deutschland drangsaliert.

Dieses Ungleichgewicht kompensiert der in den Fragen von Macht und Ohnmacht durchaus sensible Präsident Nicolas Sarkozy mit einer besonders forschen Interventionspolitik, assistiert vom britischen Premier David Cameron, der dringend sein schmalbrüstiges Image vom Sparkommissar loswerden muss. Da war es fast schon praktisch, dass sich der ökonomische Goliath Deutschland in den Fragen der Sicherheitspolitik und des Militäreinsatzes selbst ausgegrenzt hat - und damit Frankreich die Chance zur deutlichen Profilierung gab. Eine Strategie steckt dahinter nicht, eher das zentrale Motiv, das alle europäischen Sonderwege von Maroni bis Westerwelle erklärt: der innenpolitische Druck.

Geerntet hat Deutschland für diese Entscheidung bis heute nur Spott - und eine neue Medaille für Tapferkeit vor dem Freund. Die Reparaturversuche im Maschinenraum, gerade zwischen Deutschland und Frankreich, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass jede nationale Eigenwilligkeit wie die abrupte Abkehr von der Kernkraft neue Befremdung bei den Nachbarn auslöst.

Europas Entkopplung kommt so prächtig voran. Wenn Jürgen Habermas die Nationalisierung der europäischen Politik beklagt, dann hat er recht. Aber jenseits aller Analyse gibt es niemanden, der ein Mittel zur Umkehr des Trends kennt. Die Welt zerrt an Europa - die Händler an den Börsenplätzen, die unbeugsamen Diktatoren Arabiens, die Armutswanderer aus Nordafrika. Europa ergibt sich diesen Kräften. Am Ende werden zwar auch die Maronis dieses Kontinents merken, dass sie ihre Probleme nicht alleine lösen können. Dann wird es allerdings zu spät sein.

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