Schon seit Wochen streiten Autobranche und Bundesregierung in Deutschland darüber, ob die Politik der größten deutschen Industrie mit einem Anreizprogramm für Autos aus der Krise hilft - Ausgang offen. Nun wird deutlich, dass die Europäische Kommission schon weiter ist und erwägt, dem ganzen Mobilitätssektor zur Seite zu springen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung listet ein Papier aus der EU-Kommission erste Vorschläge für ein bis zu 100 Milliarden Euro schweres Konjunktur- und Klimaschutzpaket im Verkehr auf. Einer davon: eine Kaufprämie für "sauberere Autos".
Dem Entwurf zufolge könnten solche Prämien in den kommenden zwei Jahren mit bis zu 20 Milliarden Euro finanziert werden. Dies solle helfen, "CO₂ und Schadstoffe im Einklang mit den europäischen Standards zu reduzieren", heißt es in dem Dokument. Die Mittel dafür sollen aus zwei bereits bestehenden EU-Programmen kommen, also nicht unmittelbar aus den Wiederaufbaupaketen, die gerade diskutiert werden. Details zu der Finanzierung sind allerdings offenbar noch offen - ebenso wie die Frage, was eigentlich "sauberere Autos" sind.
Automobilindustrie:Staatshilfen trotz Milliardengewinnen
Kurzarbeitergeld annehmen, Gewinne an die Aktionäre ausschütten, Prämien für Autokäufe fordern: Für viele passt das nicht zusammen. Die Auto-Manager sehen das anders.
Denn nach SZ-Informationen gibt es dazu nicht nur innerhalb der Kommission, sondern auch in der Bundesregierung unterschiedliche Vorstellungen. Demnach tritt etwa Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dafür ein, auch Fahrzeuge mit einem CO₂-Ausstoß von 140 Gramm je Kilometer zu fördern. Dadurch könnten auch Käufer eines SUV vom Typ VW Tiguan noch eine Kaufprämie einstreichen. Allerdings läge das weit über den Werten, die Europas Fahrzeugflotten bis zum kommenden Jahr erreichen sollen: im Schnitt 95 Gramm je Kilometer; danach sollen sie weiter sinken. Das Verkehrsministerium teilte am Dienstagabend mit, die Ressortabstimmung laufe noch. Zu den Details könne man sich nicht äußern.
Auch die Bundesregierung berät derzeit über Kaufprämien, als Teil eines großangelegten Konjunkturprogramms. Bis Anfang Juni soll eine Arbeitsgruppe aus verschiedenen Ministerien Vorschläge dafür vorlegen, doch ein erstes Treffen blieb ergebnislos. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuletzt deutlich gemacht, dass Konjunkturhilfen zugleich auch dem Klimaschutz dienen müssten. Eine Neuauflage der sogenannten Abwrackprämie, mit der die Bundesregierung nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 den Autoabsatz ankurbeln wollte, gilt deshalb als unwahrscheinlich.
Zugleich stehen Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel - worauf auch die Autoindustrie gerne hinweist. Europaweit 300 000 Unternehmen zählt das EU-Papier zur Branche, vom Autohersteller bis zur Werkstatt - mit 13,8 Millionen Beschäftigen. Die EU sei der zweitgrößte Autohersteller der Welt nach China. Die wichtige Industrie müsse sich jedoch wegen des Klimawandels rasch verändern. So stehe der Straßenverkehr für 75 Prozent der Emissionen im Verkehrssektor - Tendenz steigend. "Eine massive Unterstützung der Autoindustrie", so warnt auch der Entwurf, "bürdet künftigen Generationen eine signifikante Last auf." Jede Hilfe müsse deswegen auch die Interessen der jungen Generation in Betracht ziehen.
Zu dem 100-Milliarden-Euro-Paket für den Mobilitätssektor sollen deshalb 40 bis 60 Milliarden Euro gehören, um Investitionen in neue Antriebstechnologien zu beschleunigen - zusammengeklaubt über einen "Investitionsfonds". Zudem will die Kommission ihre Förderprogramme für den Ausbau der Elektromobilität verdoppeln. Ziel ist es demnach, zwei Millionen öffentliche Ladepunkte für E-Autos und alternative Antriebe bis 2025 zu errichten. Auch die Bahn soll dem EU-Papier zufolge mit viel Geld unterstützt werden. Die Kommission erwägt Hilfen von 40 Milliarden Euro. Das Geld solle in die Ertüchtigung von Schlüsselkorridoren fließen, auf denen der Personen- und Güterverkehr von der Straße auf die Schiene geholt werden könnte.
Noch wimmelt das Papier von Leerstellen, in die Milliardenbeträge nachgetragen werden müssen. Es dürfte Teil eines Pakets sein, das die EU-Kommission in der kommenden Woche vorstellen will. Dann präsentiert Ursula von der Leyen zum Beispiel einen neuen Vorschlag für den künftigen EU-Haushalt inklusive eines üppigen Corona-Hilfspakets, aber auch ein aktualisiertes Arbeitsprogramm für die verbleibenden viereinhalb Jahre ihrer Amtszeit.
Dem Entwurf zufolge will die EU auch Mittel für die energetische Sanierung von Gebäuden bereitstellen, die als Beitrag zum Klimaschutz in von der Leyens Green Deal bereits angekündigt war. Doch gerade bei den Autos könnte von der Leyen zwischen die Stühle geraten, die Autoindustrie hat auch in Brüssel mächtige Fürsprecher. Umweltschützer schlagen vorsorglich schon Alarm. Kaufprämien sollten allein Nullemissions-Fahrzeuge unterstützen, verlangt etwa Stef Cornelis, Verkehrsexperte bei der Organisation Transport & Environment. Überlegungen aber, selbst Autos mit mehr als 140 Gramm Kohlendioxidausstoß je Kilometer noch per Prämie zu fördern, seien "komplett inakzeptabel". Es sei falsch, nun Autos zu fördern, die den europäischen Grenzwert von 95 Gramm Kohlendioxidausstoß je Kilometer nicht einhalten, warnt auch Stefan Heimlich, Chef des zweitgrößten europäischen Autoclubs ACE.