Ursula von der Leyen ist auf dem Weg zu einer zweiten Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission einen großen Schritt vorangekommen. Nach Angaben aus informierten Kreisen einigten sich die Verhandlungsführer der drei großen europäischen Parteifamilien – Europäische Volkspartei (EVP), Sozialdemokraten und Liberale – an diesem Dienstag über die Vergabe der Spitzenjobs in Brüssel. Demnach soll die Deutsche, die der EVP angehört, beim Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag für eine Wiederwahl nominiert werden. Die EVP war als klare Siegerin aus der Europawahl Anfang Juni hervorgegangen. Das letzte Wort hat dann das Europaparlament, das voraussichtlich bei seiner Plenarsitzung Mitte Juli in Straßburg über von der Leyens Ernennung abstimmen wird.
Das Amt des Ratspräsidenten soll nach dem Willen der drei Parteienfamilien an die Sozialdemokraten gehen. Gesetzt ist dafür der ehemalige portugiesische Regierungschef António Costa. Er soll den Posten für zunächst zweieinhalb statt für fünf Jahre erhalten – ein Zugeständnis der Sozialdemokraten, die bei der Europawahl leichte Verluste hatten hinnehmen müssen. Eine Verlängerung ist allerdings nicht ausgeschlossen. Ein informelles Gipfeltreffen am Montag vergangener Woche, bei dem die Personalien schon einmal besprochen wurden, war am Streit über diese verkürzte Amtszeit gescheitert. Im Europäischen Rat sind die Regierungen der 27 EU-Mitgliedsländer vertreten.
Für das Amt des Hohen Repräsentanten für Außen- und Sicherheitspolitik ist gemäß der Einigung die derzeitige estnische Regierungschefin Kaja Kallas vorgesehen. Sie gehört den Liberalen an, die bei der Wahl stark verloren haben. Kallas ist vor allem wegen ihrer harten Haltung gegenüber Russland bekannt.
Der Kompromiss wurde von sechs Staats- und Regierungschefs ausgehandelt
Die Einigung auf das Personalpaket kommt einer politischen Vorfestlegung gleich, da an ihr die wichtigsten europäischen Regierungen beteiligt sind. Verhandlungsführer der EVP waren der polnische Regierungschef Donald Tusk und sein griechischer Kollege Kyriakos Mitsotakis. Für die Sozialdemokraten nahmen der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und der spanische Regierungschef Pedro Sánchez an den Gesprächen teil. Die Liberalen waren durch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und den scheidenden niederländischen Premierminister Mark Rutte vertreten.
Allerdings muss der Kompromiss, den die sechs Staats- und Regierungschefs am Dienstag in einer Videokonferenz besiegelten, noch vom Europäischen Rat endgültig abgesegnet werden, dem 21 weitere Kolleginnen und Kollegen angehören. Der Rat trifft sich am Donnerstag und Freitag in Brüssel. Die Entscheidung über die neuen Führungsämter muss nicht einstimmig getroffen werden, es besteht also für keine Regierung die Möglichkeit, ein Veto einzulegen. Aber es muss eine sogenannte verstärkte qualifizierte Mehrheit für die Personalien zusammenkommen: Die zustimmenden Regierungschefs müssen 72 Prozent der Mitgliedsländer (in absoluten Zahlen: 20) und 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten.
Giorgia Meloni soll das Personalpaket unterstützen
Zudem gibt es ein informelles politisches Kriterium: Wie in Brüssel zu erfahren ist, wollen die sechs verhandelnden Ratsmitglieder das Personalpaket nicht gegen den Willen der rechtsnationalen italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni durchsetzen.
Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat von der Leyen deswegen von den sechs Unterhändlern den Auftrag erhalten, sich nun mit Meloni in Verbindung zu setzen und bei ihr um Unterstützung für die Abstimmung in der Runde der Staats- und Regierungschefs zu werben. EVP, Sozialdemokraten und Liberale verfügen dort zwar über die erforderliche verstärkte Mehrheit. Allerdings soll bei der Bestätigung des Personaltableaus der drittgrößte EU-Staat nicht übergangen werden.
Meloni machte bei dem Gipfeltreffen in der vergangenen Woche ihren Unmut über das Vorgehen der drei Parteienfamilien deutlich, das ihrer Ansicht nach dem Ergebnis der Europawahlen zuwiderlief. Die Italienerin will stärker an der Macht in der EU beteiligt werden, nachdem sie mit ihrer Partei Fratelli d’Italia die Wahl in Italien gewonnen und die rechtsnationale EKR-Fraktion im EU-Parlament, zu der Melonis Abgeordnete gehören, die Liberalen als drittgrößte Fraktion abgelöst hat. Diplomaten in Brüssel rechnen damit, dass von der Leyen Meloni einen herausgehobenen Posten in der neuen Kommission für einen ihrer Gefolgsleute anbieten wird.
Von der Leyens Mandat, mit Meloni zu verhandeln, gilt allerdings nicht für eine Zusammenarbeit im Europaparlament. Dort muss von der Leyen 361 der 720 Abgeordneten für sich gewinnen – eine Hürde, die als überwindbar gilt, da EVP, Sozialdemokraten und Liberale zusammen um die 400 Sitze haben. Eine Garantie, dass die Fraktionen geschlossen für die Deutsche stimmen, gibt es aber nicht.