Süddeutsche Zeitung

EU-Personalien:Weber war der Falsche

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Nun wird Manfred Weber wohl doch nicht EU-Kommissionschef. Das hat wenig mit der Herkunft des CSU-Politikers zu tun - aber viel mit dem, was er nie war.

Kommentar von Matthias Kolb

Im kollektiven Gedächtnis der Europäischen Union spielen die Namen von Städten eine wichtige Rolle. Rom, Maastricht, Lissabon, Schengen: Dort wurden Verträge unterzeichnet oder Abkommen geschlossen, die den Alltag der Bürger ebenso verändert haben wie die Regeln für die Politik. Osaka dürfte nicht in diese Reihe aufgenommen werden, aber in künftigen Büchern über Europas Demokratisierung wird die Stadt trotzdem prominent erwähnt werden. Denn in Japan hat Angela Merkel akzeptiert, dass Manfred Weber nicht Chef der EU-Kommission wird, obwohl die Europäische Volkspartei (EVP) ihn zum Spitzenkandidaten gekürt hatte und weiterhin stärkste Kraft im EU-Parlament ist. Zugleich stellte sich die Kanzlerin plötzlich klar hinter das Spitzenkandidaten-Prinzip, das ihr lange suspekt war, und signalisierte so Unterstützung für den Sozialdemokraten Frans Timmermans.

Dass Merkel vor dem Sondergipfel Formulierungen wie "den Beschlüssen nicht vorgreifen" eingestreut hatte, sollte Respekt gegenüber den anderen Staats- und Regierungschefs zeigen, doch diese Worte reichten nicht aus. Der Widerstand ist enorm gegen den Personalkompromiss, den Merkel mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dem Spanier Pedro Sanchez und dem Niederländer Mark Rutte in Osaka gefunden hatte. Ob deren Plan Zustimmung findet, war am Sonntagabend völlig offen. Dass die Kanzlerin CSU-Vize Weber nicht hat durchsetzen können, liegt auch daran, dass die EVP an Einfluss verloren hat und ihren Willen im Europäischen Rat den Liberalen und Sozialdemokraten nicht aufzwingen kann.

Über die Proteste aus Polen und Ungarn muss die EU sich hinwegsetzen

Mittlerweile ist klar: Weber war für die EVP der falsche Kandidat, das hat jedoch wenig mit seinem deutschen Pass zu tun. Als Fraktionschef im Europaparlament agierte er ausgleichend. Er hat aber keine Erfahrung in der Exekutive und war nie Minister. Nicht nur Macron zweifelte daran, dass Weber Europa gegenüber Präsidenten wie Donald Trump oder Xi Jinping ebenso gut vertreten könne wie Jean-Claude Juncker. Dieses Manko war im Herbst allen EVP-Delegierten bewusst gewesen, die Weber zum Spitzenkandidaten kürten und nicht Finnlands Ex-Premier Alexander Stubb. Weber konnte damals Spitzenkandidat werden, weil sich hierfür zu wenige prominente Minister oder Regierungschefs bewerben. Viele scheuen das Risiko, als Verlierer auf die nationale Bühne zurückkehren zu müssen. Bei den Sozialdemokraten war es genauso: Neben Timmermans trat nur der EU-Kommissar aus der Slowakei an. Wenn der Niederländer eine Mehrheit in Rat und EU-Parlament erhalten sollte, hätte Merkel dafür gesorgt, dass das Spitzenkandidaten-Modell überlebt und umgebaut werden kann.

Timmermans hat zwei Probleme: Anders als die Kanzlerin sind die anderen Regierungschefs der EVP nicht bereit, das Amt des Kommissionschefs herzugeben. Zudem gibt es gegen seine Berufung große Proteste aus Polen und Ungarn, denn Timmermans führt für die EU-Kommission Rechtsstaatsverfahren gegen beide Länder. Sie allein reichen für ein Veto nicht aus, weshalb auch Italien blockieren müsste. Dass ein Kommissionschef Timmermans Vorbehalte in Osteuropa würde überwinden müssen, war stets klar. Doch über diese Bedenken muss sich die EU hinwegsetzen, für sie sind unabhängige Justiz und Pressefreiheit unverzichtbar.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2019
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