Süddeutsche Zeitung

EU-Kommission:Von der Leyens heikle Namenswahl

  • Der Name eines neuen Ressorts der EU-Kommission verstört NGOs und Europaparlamentarier.
  • "Schützen, was Europa ausmacht" heißt es - und Kommissionsvize Schinas soll unter diesem Titel auch die Einwanderungs- und Asylpolitik der EU koordinieren.
  • Für viele Kritiker klingt dies nach einer These von rechtsaußen.
  • Noch-EU-Kommissionschef Juncker zeigt sich überzeugt, dass seine designierte Nachfolgerin von der Leyen den Namen ändern wird.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Auch der scheidende Kommissionspräsident spart nicht mit Kritik. "Ich mag die Vorstellung nicht, dass die europäische Lebensweise der Migration entgegengesetzt ist. Die Akzeptanz von Menschen, die aus der Ferne kommen, ist Teil der europäischen Lebensweise", sagte Jean-Claude Juncker dem TV-Sender Euronews. Der Luxemburger bezog sich damit auf eine unglückliche Namenswahl seiner Nachfolgerin.

Ursula von der Leyen stellte diese Woche ihre 26 EU-Kommissare und deren Portfolios vor; das Team nimmt am 1. November die Arbeit auf, sofern das Europaparlament zustimmt. Die Aufgabe für Kommissions-Vize Margaritis Schinas nennt sich "Schützen, was Europa ausmacht" - und erst auf Nachfrage erklärte die CDU-Politikerin, dass der Grieche neben Kultur, Sicherheit und Bildung auch die Themen Einwanderung und Asyl koordinieren soll. Um die Details der Migrationspolitik kümmert sich die Schwedin Ylva Johansson.

Für viele Kritiker klingt dies so, als sei nach Meinung von der Leyens eine härtere Einwanderungspolitik nötig, um Europas Werte zu bewahren - eine These, die eher von rechts außen zu hören ist. Das Thema ist heikel, denn die EU-Mitglieder können sich nicht einigen, wie Flüchtlinge zu verteilen sind, die von Afrika oder der Türkei aus das Mittelmeer oder die Ägäis überqueren. Nach dem Regierungswechsel in Italien gibt es etwas mehr Hoffnung. Am 23. September wollen die Innenminister Deutschlands, Frankreichs, Finnlands und Italiens auf Malta über Lösungen beraten.

Das Kommunikationsteam der EU-Kommission stemmt sich gegen die Kritik von Medien, Nichtregierungsorganisationen und dem Europaparlament, wo mittlerweile Fraktionschefs von Sozialdemokraten, Grünen, Linken und der liberalen "Renew"-Gruppe eine Umbenennung fordern. Die Behörde kontert damit, dass ein Kapitel der "politischen Leitlinien" vom Juli die gleiche Überschrift trug. Dort stehe auch, dass von der Leyen eine "Union der Gleichheit und der Vielfalt" anstrebe.

Ihr persönlicher Sprecher erklärte, dass "über alle Argumente" nachgedacht werde, "aber mit Sicherheit gibt es keine schnelle Entscheidung". Die Christdemokratin traf am Donnerstag erstmals ihr neues Team zum Kennenlernen, doch der Protest trübt den guten ersten Eindruck.

Legitime Ängste und Sorgen der Bürger zerstreuen?

Es gibt Passagen in von der Leyens Berufungsschreiben an Schinas, die Irritation schüren. Demnach müsse die EU "legitime Ängste und Sorgen" zerstreuen, die Bürger wegen illegaler Einwanderung hegten.

Der designierte Vizepräsident Schinas ist übrigens Kommunikationsprofi und war viereinhalb Jahre Chefsprecher von Jean-Claude Juncker. Dass der 57-Jährige in seinem Twitter-Profil die umstrittene Formulierung verschweigt, bleibt nicht unbeobachtet. Er muss sich wie alle designierten Kommissare Anfang Oktober einer Anhörung im Europaparlament stellen. Viel spricht dafür, dass der Jobtitel geändert wird, bevor von der Leyen am Donnerstag in Straßburg eingeladen ist, den Fraktionschefs ihre Beweggründe zu erläutern.

Noch-Kommissionschef Juncker nutzte sein Interview auch dazu, Schinas zu verteidigen: "Ich kenne Margaritis gut, dieser Titel entspricht nicht seinen Werten." Und dann wagte der Politprofi eine Prognose, die eintreten dürfte: "Dies wird geändert werden müssen."

Ursula von der Leyen selbst verschickte am Abend per Twitter den Text von Artikel 2 aus dem Vertrag von Lissabon, in dem die "Werte, auf sich die Union gründet", festgeschrieben sind, etwa die "Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit".

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SZ vom 13.09.2019/gal
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