Süddeutsche Zeitung

Verdacht auf Vertragsverletzung:EU-Kommission bereitet Verfahren gegen Deutschland vor

Das Bundesverfassungsgericht beanstandet milliardenschwere Wertpapierkäufe der EZB. Dagegen will die EU-Kommission nun rechtlich vorgehen.

Wegen eines eines umstrittenen Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu milliardenschweren Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank bereitet die EU nach Informationen der SZ und der Deutschen Presse-Agentur ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vor. Die formale Entscheidung soll bis Mittwoch fallen. Anschließend hätte Deutschland zunächst einige Monate Zeit, schriftlich auf die Bedenken der EU-Kommission zu reagieren. Sollten die Sorgen der Behörde nicht ausgeräumt werden, könnte sie Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. Die Kommission ist in der Europäischen Union für die Überwachung von EU-Recht zuständig.

Hintergrund ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2020. Dieses hatte die Wertpapierkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) beanstandet. Sie hatte zwischen März 2015 und Ende 2018 rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere gesteckt - den allergrößten Teil über das Programm PSPP (Public Sector Purchase Programme), auf das sich das Urteil bezieht. Zum 1. November 2019 wurden die umstrittenen Käufe neu aufgelegt, zunächst in vergleichsweise geringem Umfang von 20 Milliarden Euro im Monat.

Mit dem Urteil hat sich das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal gegen ein vorheriges Urteil des Europäischen Gerichtshofs gestellt. Eigentlich hat EU-Recht in der Staatengemeinschaft Vorrang vor nationalem Recht. Die EZB ist zudem politisch unabhängig. Diese Grundsätze sahen Kritiker durch das Urteil gefährdet. Die Verfassungsrichter argumentierten hingegen, die Notenbank habe mit dem 2015 gestarteten Programm ihr Mandat für die Geldpolitik überspannt. Bundesregierung und Bundestag sollten darauf hinwirken, dass Europas Währungshüter nachträglich prüfen, ob die Käufe verhältnismäßig sind. Mittlerweile haben Bundesregierung und Bundestag das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, wie das Gericht Ende April in einem Beschluss feststellte.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte bereits kurz nach dem Urteil angekündigt, ein Verfahren gegen Deutschland zu prüfen. Damals bestand vor allem die Sorge, andere Länder könnten sich ein Beispiel am Vorgehen der deutschen Verfassungsrichter nehmen und künftig ebenfalls EuGH-Urteile ignorieren. Im Blick ist dabei unter anderem Polen. Von der Leyern pocht auf drei Grundprinzipien: Zum einen sei die Währungspolitik sei allein Sache der EU, EU-Recht habe Vorrang vor nationalem Recht und EuGH-Urteile seien für nationale Gerichte bindend. "Das letzte Wort zu EU-Recht wird immer in Luxemburg gesprochen. Nirgendwo sonst", sagte sie.

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