Maßnahmen gegen Russland:EU will Ukraine mit russischem Geld wiederaufbauen

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert: "Russland muss für seine furchtbaren Verbrechen bezahlen." (Foto: Philipp von Ditfurth/DPA)

Die EU-Kommission präsentiert neue Vorschläge, um Moskau finanziell und juristisch für den Krieg zur Verantwortung zu ziehen. Aber sind diese Ideen auch praktisch umsetzbar?

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Die Europäische Union will Russland härter für den Überfall auf die Ukraine bestrafen. Die EU-Kommission schickte den 27 Mitgliedsländern am Mittwoch Vorschläge zu, wie Moskau finanziell und juristisch für den Krieg zur Verantwortung gezogen werden könnte - zusätzlich zu den bestehenden Wirtschaftssanktionen. "Russland muss für seine furchtbaren Verbrechen bezahlen", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Die Vorschläge umfassen zwei Bereiche. Zum einen will die EU auf russisches Vermögen zugreifen, das im Westen nach Kriegsbeginn eingefroren wurde, und dieses der Ukraine zur Verfügung stellen. Kiew soll das Geld dann dazu verwenden können, den Wiederaufbau des zerstörten Landes zu bezahlen. Von der Leyen sagte, die bisher von Moskau verursachten materiellen Schäden würden auf 600 Milliarden Euro geschätzt.

Brüssel hat vor allem zwei mögliche Geldquellen im Blick. So liegen auf westlichen Konten nach Angaben der EU-Kommission ungefähr 300 Milliarden Euro, die der russischen Zentralbank gehören und durch Sanktionsbeschlüsse auf Eis gelegt wurden. Hinzu kommen etwa 19 Milliarden Euro auf Konten in der EU, die russischen Unternehmen oder Personen gehören, welche wegen ihrer Beteiligung am Krieg gegen die Ukraine oder ihrer Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin auf Brüsseler Sanktionslisten stehen.

Eingefrorenes Vermögen bleibt eigentlich im Besitz des Eigentümers

Allerdings ist es aus rechtlichen Gründen für die EU nicht möglich, all dieses Geld einfach zu konfiszieren, zu enteignen und an die Ukraine weiterzuleiten. Eingefrorenes Vermögen bleibt im Besitz des Eigentümers, es sei nur "immobilisiert", wie ein EU-Beamter es ausdrückte. Sobald der Grund für das Einfrieren wegfällt, muss es zurückgegeben werden - auch wenn der Eigentümer wie im Falle Russlands eine von einem verbrecherischen Regime kontrollierte Staatsbank oder ein skrupelloser Oligarch ist.

Um der Ukraine trotz aller juristischen Probleme zumindest einen Teil des Geldes zukommen zu lassen, will die EU das eingefrorene russische Zentralbankvermögen daher in eine Art Treuhandfonds überführen. Dieser soll es anlegen und die Gewinne an Kiew auszahlen. Die Ukraine könnte so sichere, planbare, langfristige Einnahmen erhalten, argumentiert die Kommission.

Das Grundkapital, die 300 Milliarden Euro, könnte Russland nach Abschluss eines Friedensvertrages zurückerhalten - eventuell plus einer kleinen Zinszahlung. In dem Friedensvertrag müsste laut Kommission die Entschädigung der Ukraine geregelt sein.

Um an das eingefrorene Geld aus den Vermögen von russischen Unternehmen und Privatpersonen zu gelangen, will die EU einen neuen europäischen Straftatbestand schaffen - die Umgehung von Sanktionen. Russische Oligarchen könnten dann angeklagt und verurteilt werden, zur Strafe könnte ihr eingefrorenes Geld enteignet werden. Allerdings müsste tatsächlich ein Strafurteil in der EU gegen sie vorliegen, damit das möglich ist.

Ob und wie die Kommissionspläne in die Praxis umgesetzt werden, ist noch offen. Kommissionsvertreter räumen ein, dass es politisch und juristisch sehr schwierig sei, staatliches Vermögen wie das der russischen Zentralbank einzuziehen. Auch fehlt es an Informationen: Die EU weiß bisher nicht genau, wie viel russisches Zentralbankgeld in Europa liegt, in welchen Ländern und auf welchen Konten.

Manche EU-Mitglieder fordern ein Sondertribunal

Ebenso konnte die Kommission am Mittwoch nicht sagen, welcher Anteil dieses Vermögens liquide ist, also tatsächlich in einen Treuhandfonds überführt werden könnte. In welcher Höhe sich Gewinne erzielen lassen, die der Ukraine überwiesen werden können, ist daher unbekannt.

Ähnlich unklar ist das zweite Vorhaben der EU - die Einrichtung eines internationalen Sondertribunals, das den russischen Angriff auf die Ukraine untersuchen und juristisch ahnden soll. Einige osteuropäische EU-Mitglieder fordern das seit Längerem, andere Länder, darunter Deutschland, verwiesen hingegen bisher auf die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag für die Verfolgung von Kriegsverbrechen. Dieser ermittelt bereits in der Ukraine.

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Nach Vorstellung der EU soll der ICC sich auch weiterhin um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine kümmern. Das neue Sondertribunal soll ausschließlich dafür zuständig sein, die russische Führung für den Angriffskrieg gegen das Nachbarland zur Rechenschaft zu ziehen - bis hinauf zu Putin und dessen engstem Kreis.

Da nicht zu erwarten ist, dass die Vetomacht Russland im UN-Sicherheitsrat der Gründung eines solchen Tribunals zustimmt, bereitet sich die EU darauf vor, das Gericht von einer möglichst großen Staatenmehrheit in der UN-Generalversammlung absegnen zu lassen.

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