Süddeutsche Zeitung

EU-Kommission:Profiteurin der Pandemie

Ursula von der Leyen bietet sich eine historische Chance - zu glänzen oder zu scheitern.

Von Björn Finke

Gleich siebzehn Mal verwendet Ursula von der Leyen diesen sperrigen Begriff in ihrer Ansprache: "Next Generation EU". Auf diesen Namen hat die EU-Kommission den Corona-Hilfstopf getauft, der Mitgliedstaaten mit 750 Milliarden Euro unterstützen soll. Die Kommissionspräsidentin nahm in ihrer Rede zur Lage der Union am Mittwoch ständig Bezug darauf. Der Geldsegen soll von der Leyen helfen, ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Aber die große Frage ist, ob die Regierungen die Milliarden sinnvoll nutzen werden. Die Antwort wird entscheidend sein für Erfolg oder Scheitern der Amtszeit von der Leyens.

Bisher ist die Deutsche eine Profiteurin der Pandemie. Ihr Start war holprig: Das Europaparlament bestätigte sie nur knapp, und als die Staaten wegen Corona die Grenzen schlossen, wirkte von der Leyen hilflos. Doch die Wende gelang mit "Next Generation EU", einem kühnen Vorhaben, das die Gemeinschaft für immer verändern könnte. Denn für den Hilfstopf darf die Kommission erstmals im großen Stil Schulden aufnehmen. Außerdem soll sie für den Schuldendienst neue Einnahmequellen erhalten. Damit dirigiert von der Leyen zwei gewaltige Schritte hin zu mehr europäischer Integration.

Noch bedeutender aber ist, dass die Deutsche dank des Fonds über einen viel üppigeren Etat verfügt als ihre Vorgänger. Und Geld ist Macht - Gestaltungsmacht. Von der Leyen will diese nutzen, um den Kontinent und seine Wirtschaft grüner, digitaler und widerstandsfähiger zu machen: Die Milliarden aus dem Corona-Topf sollen in den Staaten überfällige Reformen anstoßen und zukunftsträchtige Investitionen ermöglichen. In ihrer Rede erwähnte die Deutsche etwa den Ausbau des schnellen Internets oder Ladestationen für Elektroautos.

Das alles ist gut und sinnvoll, doch die Erfahrungen mit EU-Fördermitteln sind ernüchternd: Zu oft wird Geld für wenig wirtschaftliche Vorhaben verschwendet. Die Bilanz des Corona-Topfs muss unbedingt besser ausfallen. In einigen Mitgliedstaaten war und ist der Widerwille groß dagegen, dass Brüssel auf einmal Schuldenberge anhäufen darf und das Geld an klamme Länder verschenkt. Daher ist es wichtig, dass der Fonds Erfolgsgeschichten liefert - und keine Skandale. Ein Fehlschlag könnte die Stimmung vergiften; Regierungen würden sich weigern, Partnern bei künftigen Problemen beizustehen. Und EU-Skeptiker in den Parlamenten bekämen kräftig Aufwind. Europa könnte in eine selbst verschuldete Krise schlittern.

Der beste Schutz vor Misswirtschaft sind strenge Kontrollen durch die Kommission. Allerdings hat die Behörde beim Stabilitätspakt, den Regeln für solide Haushaltsführung, genau jene Strenge gegenüber unseriös wirtschaftenden Regierungen über Jahre vermissen lassen: ein ganz schlechtes Vorzeichen.

Von der Leyen muss nun sicherstellen, dass die Kommission nicht auch beim Corona-Topf diese fatale Nachsicht zeigt. Schöne Reden reichen nicht. Wichtiger ist, den Empfängern des Geldsegens genau auf die Finger zu schauen - und ihnen zur Not beherzt draufzuhauen. Die Deutsche könnte als Präsidentin in die Geschichte eingehen, die gewaltige Integrationsschritte angestoßen und die Wirtschaft grüner gemacht hat. Oder als Präsidentin, unter der ein Versuch mit neuer, milliardenschwerer Solidarität fürchterlich schiefging. Es liegt an ihr.

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SZ vom 17.09.2020
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