EU-Kommission:Keine Chance

Die Chancen von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso auf eine baldige Wiederwahl schwinden, weil die liberale Fraktion im Europaparlament kaum erfüllbare Bedingungen stellt.

Cerstin Gammelin und Martin Winter

Die Chancen von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso auf eine Wiederwahl noch vor der Sommerpause tendieren gegen Null. Die Liberalen im Europäischen Parlament legten sich am Mittwoch zwar nicht ausdrücklich gegen den vom Europäischen Rat gewünschten Wahltermin am 15. Juli fest. Aber die Fraktion stellte Bedingungen, die faktisch darauf hinauslaufen.

Scharf kritisierte der neue liberale Fraktionschef, der ehemalige belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt das von den Staats- und Regierungschefs gewählte Verfahren. Es sei "außerordentlich befremdlich", dass der Europäische Rat Barroso vor zwei Wochen nur "politisch" benannt habe und nun in informellen Gesprächen mit dem Parlament testen wolle, ob sein Kandidat am 15.Juli eine Mehrheit gewinnen könnte. Bevor man aber über einen Bewerber reden könne, müsse der Rat "seiner Verantwortung gerecht werden" und Barrosos formell vorschlagen.

Ausdrücklich weisen die Liberalen alle Versuche zurück, sie "unter Zeitdruck" zu setzen. Vor allem aber durchkreuzten sie die Strategie der Europäischen Volkspartei (EVP), Barroso durch eine Wahlkoalition mit den Liberalen und den britischen Konservativen (Tories) durchzusetzen, die mit anderen EU-Skeptikern eine eigene Fraktion gebildet haben.

Barroso drängt auf schnelle Abstimmung

Doch mit den Tories wollen die Liberalen nichts zu tun haben. Seine Fraktion, sagte Verhofstadt, strebe sowohl bei den Personal- wie bei den politischen Entscheidungen, die jetzt und in den kommenden Jahren zu treffen sind, eine "breite Koalition der proeuropäischen Kräfte" im Parlament an. Auf Nachfragen bekräftigte Verhofstadt, dass die Tories für ihn nicht dazugehören.

Im Übrigen fordern die Liberalen, dass vor der Personalentscheidung eine ausführliche Debatte darüber geführt wird, wie die Europäische Union die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise in den Griff kriegen kann. In der kommenden Woche wollen sie ein Programm dazu vorlegen und erwarten von Barroso, sollte er denn formal nominiert werden, seine Vorstellungen darzulegen.

Da die große Fraktion der Sozialdemokraten eine rasche Wiederwahl Barrosos ablehnt, bliebe der Europäische Volkspartei nur noch übrig, die Grünen ins Boot zu holen. Doch die werden, wie deren Fraktionschef Daniel Cohn-Bendit der SZ sagte, Barroso auf keinen Fall wählen.

Barroso scheint sich inzwischen selber darauf einzurichten, dass vor der Sommerpause keine Mehrheit für ihn zustande kommt. In Stockholm drang er anlässlich der Übernahme der EU-Präsidentschaft durch Schweden am Mittwoch noch einmal auf eine schnelle Abstimmung. Die schaffe "Klarheit und Stabilität". Zugleich bekräftigte der Kommissionschef aber, dass er "jederzeit" für eine Wiederwahl zur Verfügung stehe - "egal, wann das Parlament entscheidet", wie er sagte.

Druck auf Parlamentarier

Der neue EU-Präsident, der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt führt nach eigenen Angaben bereits "Konsultationen" mit den Gruppen im Parlament über den 15.Juli. "Wir brauchen eine starke europäische Führung", begründete er den Druck auf die Parlamentarier. Wenn er bei den Liberalen noch irgendeine Chance auf Erfolg haben will, dann muss er jetzt aber vor allem seine Kollegen im Europäischen Rat dazu drängen, die "politische" Nominierung Barrosos in eine den Regeln entsprechende formelle umzuwandeln, über die allein das Parlament abstimmen kann.

Genau das aber wollten die Staats- und Regierungschefs vermeiden. Bevor sie den Kandidaten rechtlich bindend vorschlagen, wollten sie eine Zusicherung, dass es für ihn eine Mehrheit gibt und dass das Europäische Parlament am 15.Juli zustimmt. Angesichts der schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament befürchtete der Rat, dass sein Kandidat sonst eine Niederlage erleiden könnte. Nun wird die Zeit für alle knapp. Nach seiner Konstituierung am 14.Juli geht das Europäische Parlament am 16.Juli in die Sommerpause.

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