EU-Kommissionschefin zur Ukraine-Krise:"Es wird keine Lösung ohne Europa geben"

EU-Kommissionschefin zur Ukraine-Krise: Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen im Panthéon, wo sie Simone Veil, erste Präsidentin des Europaparlaments, und Jean Monnet, den Wegbereiter der europäischen Einigung, ehren.

Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen im Panthéon, wo sie Simone Veil, erste Präsidentin des Europaparlaments, und Jean Monnet, den Wegbereiter der europäischen Einigung, ehren.

(Foto: Ludovic Marin/AFP)

Zum Start von Frankreichs Ratspräsidentschaft besucht EU-Kommissionschefin von der Leyen Präsident Macron - und fordert bei der Gelegenheit Moskau auf, die EU bei der Lösung der Ukraine-Krise zu beteiligen.

Von Matthias Kolb, Paris

An Klarheit ist diese Aussage Ursula von der Leyens kaum zu übertreffen. "Europa braucht Frankreichs Führungsstärke", verkündet die Präsidentin der EU-Kommission am Donnerstagabend beim Arbeitsessen ihrer Kommissare mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dessen Regierung. Zu Beginn einer jeden Ratspräsidentschaft reist das Kollegium in die jeweilige Hauptstadt, um die Ziele für die kommenden sechs Monate zu besprechen, und die mitreisenden Journalisten merken sofort, wie es um das persönliche Verhältnis steht.

Regungslos stand von der Leyen im Juli 2021 neben Janez Janša und blickte stur nach vorne, während Sloweniens kontroverser Premierminister sprach. Dieser hatte von der Leyens Stellvertreter, den Sozialdemokraten Frans Timmermans, mit einer Tirade über "kommunistische Richter" provoziert, und die CDU-Politikerin zeigte offen ihren Ärger. In Paris ist die Stimmung am Freitagmittag ganz anders: Von der Leyen nickt oft, während Macron redet und lächelt den "lieben Emmanuel" in der Pressekonferenz immer wieder an. Dass die beiden gut miteinander können, liegt nicht nur daran, dass von der Leyen ohne Macron nie aus dem Verteidigungsministerium an die Spitze der Kommission hätte wechseln können: Die Wünsche der Franzosen passen zu ihren eigenen Prioritäten.

Auch von der Leyen möchte die EU in eine "digitale Macht" verwandeln und eng mit afrikanischen Ländern kooperieren: Der Kontinent sei ein "Schlüsselpartner". Ein Gipfel im Februar wird zeigen, wie substanziell diese Partnerschaft sein könnte. Mit Blick auf die Corona-Pandemie verspricht von der Leyen mehr Unterstützung - dies gelte für Impfstoffe und die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen. Das Ziel der EU, bis 2030 den Ausstoß an Treibhausgasen um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken, will Macron vorantreiben. Paris setzt zunächst auf eine CO₂-Grenzsteuer, die verhindern soll, dass Russland, China oder die Türkei Eisen, Stahl oder Aluminium billiger anbieten können, weil sie in Sachen Klimaschutz weniger ambitioniert sind.

Allerdings haben die vergangenen Wochen offenbart, dass die EU gerade von Russlands Präsident Wladimir Putin nicht so respektiert wird, wie sich vor allem Macron dies wünscht. Wenige Tage vor der nächsten Runde des strategischen Dialogs zwischen den USA und Russland in Genf fordern beide, die EU an den Gesprächen zur Bewältigung der Ukraine-Krise zu beteiligen. "Es wird keine Lösung ohne Europa geben", sagt von der Leyen und verweist auf Brüssels Milliardenhilfe für Kiew und das Sanktionspaket gegen Russland, das die EU-Mitglieder seit der russischen Annektierung der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 immer wieder verlängert haben.

Für Macron ist klar, dass es Aufgabe der Europäer sei, die von ihnen gewünschte europäische Sicherheitsarchitektur vorzuschlagen. Dafür seien Gespräche mit Moskau unerlässlich. "Ich glaube, dass die EU einen Dialog mit Russland führen muss", sagt er. Dies bedeute nicht, Zugeständnisse zu machen, argumentiert Macron und kündigt an, bald wieder mit Putin zu telefonieren. Ein Thema dürften dann die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Kasachstan sein, über die beide sehr besorgt sind. "Ich rufe zu einem Ende der Gewalt und zur Zurückhaltung auf", sagt von der Leyen und betont, dass die EU zu jeglicher Hilfe bereit sei.

Macron verteidigt Aussage über Ungeimpfte

Dass die Französinnen und Franzosen im April, also mitten in der Ratspräsidentschaft, entscheiden werden, ob sie weitere fünf Jahre von Macron regiert werden wollen, erwähnt von der Leyen nicht. In der Pressekonferenz spielt der Wahlkampf dennoch eine Rolle: Macron verteidigte seine umstrittene und von vielen als vulgär empfundene Aussage, Ungeimpfte "drangsalieren" zu wollen - oder ihnen "auf den Sack zu gehen", was eine etwas direktere Übersetzung wäre. Als Begründung sagt Macron, dass er es als seine Verantwortung gesehen habe, "ein wenig Alarm zu schlagen". Er könne es nicht akzeptieren, dass manche im Namen ihrer Freiheit andere gefährdeten.

Die schnelle Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante des Coronavirus in Frankreich könnte neben einer starken Belastung für das Gesundheitssystem auch die Ratspräsidentschaft beeinflussen. Bisher sind zahlreiche Ministertreffen überall im Land geplant, doch diese könnten nun virtuell stattfinden müssen. Die schönen Bilder, die im Wahlkampf sicher nicht schaden würden, gäbe es dann nicht. Wie gekonnt Macron sich inszenieren kann, hat der Besuch von der Leyens bewiesen. Am Morgen besuchten beide den Panthéon, um zwei große Europäer zu ehren, die in der prachtvollen Ruhmeshalle begraben sind: Simone Veil, die erste Präsidentin des Europaparlaments, und Jean Monnet, den Wegbereiter der europäischen Einigung.

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