Europäische Union:Wie Schäuble die EU-Kommission entmachten will

Finance ministers meeting on Greece

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble missfällt, wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Rolle seiner Behörde interpretiert.

(Foto: dpa)
  • EU-Kommissionspräsident Juncker interpretiert die Rolle seiner Behörde zunehmend politisch.
  • Bundesfinanzminister Schäuble sieht das kritisch. Eine politische Kommission sei unvereinbar mit ihrer klassischen Aufgabe als neutraler Hüterin der Verträge.
  • Der Konflikt droht die EU weiter zu spalten.

Von Cerstin Gammelin und Alexander Mühlauer, Berlin/Brüssel

Es ist erstaunlich ruhig geworden um Frankreich, und auch um Italien oder Spanien, jedenfalls, was deren Haushaltszahlen betrifft. Kein Jahr ist es her, da drohte die Europäische Kommission damit, gegen die als chronisch eingestuften Verletzungen der Defizitregeln mit Blauen Briefen und Milliardenstrafen vorzugehen. Die Zahlen haben sich seither kaum geändert, der Umgang damit aber schon: Es gibt mehr Verständnis, mehr Zeit zu reformieren und zu sparen.

Es liegt am neuen Spitzenpersonal in der EU-Kommission: Ihr Präsident Jean-Claude Juncker hat mehr Flexibilität im Umgang mit Defizitländern vorgegeben - und dies zum Teil seiner Strategie erklärt, Europas mächtigste Behörde "politischer" zu führen. Strenge Regeln werden seither ins Verhältnis zu nationalen politischen Zwängen gestellt.

Schäuble attackierte Junckers Ansatz, die Kommission politischer zu führen

Die Bundesregierung war von diesem Ansatz nie überzeugt, hat ihre Bedenken bisher allerdings weitgehend für sich behandelt. Nun ist erneut Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vorgeprescht. Am Tag nach dem 17-Stunden-Euro-Sondergipfel, vor dem Schäuble ein Tabu gebrochen und den (vorübergehenden) Austritt Griechenlands angeregt hatte, der jedoch am 13. Juli mit dem vorläufigen Verbleib Athens in der Euro-Zone und dem Beschluss eines weiteren Rettungspakets endete, trafen sich die EU-Finanzminister in Brüssel. Sie sprachen über die Zukunft des Euro und die Frage, wie es weitergehen soll mit Europa. Grundlage für die Debatte war der sogenannte Fünf-Präsidenten-Bericht mit dem Titel "Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden", darunter der Zusatz: "Vorgelegt von Jean-Claude Juncker".

Schäuble nutzte die allgemeine Ermüdung und den Ärger der vergangenen Tage, den er nach seinem Tabubruch hatte erfahren müssen, für die nächste Attacke - diesesmal auf Junckers Ansatz, die Kommission politischer zu führen und damit die Regeln soweit wie möglich zu dehnen.

Auch im Streit mit Griechenland war Juncker mehr als nur ein Brückenbauer zwischen Athens Regierungschef Alexis Tsipras und den Vertretern der Geldgeber gewesen. Juncker ist nicht nur Teil der Institutionen aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds. Er hatte auch immer wieder selbst (und allein) mit Tsipras verhandelt; und damit aus Sicht der Bundesregierung rote Linien überschritten.

Kernbereiche des Binnenmarkts sollen ausgegliedert werden

Schäuble nutzte an jenem Dienstag nach dem Sondergipfel also die Gelegenheit, die Forderung vorzutragen, dass die Europäische Kommission einige ihrer Kernkompetenzen an "unabhängige" Instanzen abgeben solle. Schäuble beanstandete, dass die Kommission nicht mehr neutral, sondern zunehmend als politische Instanz und Regierung der Europäischen Union auftrete, was unvereinbar sei mit ihrer klassischen Aufgabe als neutraler Hüterin der Verträge. Insgesamt sei es wichtig, sagte Schäuble, dass die Kommission die richtige Balance zwischen ihrer politischen Funktion und ihrer Rolle als Hüterin der Verträge wahre. Nur so könne sie "stark" auftreten.

Konkret spielt die Bundesregierung mit dem Gedanken, Kernbereiche des europäischen Binnenmarktes wie Recht, Wettbewerbsrecht und Haushaltsaufsicht auszugliedern. Im Protokoll der Finanzminister-Sitzung sind Schäubles Forderungen in Bezug auf die gesetzlich festgeschriebenen Defizitverfahren gegen Haushaltsverstöße und auf die nationalen Budgetplanungen, das sogenannte Europäische Semester, etwas verklausuliert nachzulesen: In beiden Verfahren gebe es viel Interpretationsspielraum. Im Ecofin-Rat gebe es dabei häufig das Gefühl, dass große Mitgliedsstaaten, wie Frankreich und auch Deutschland, anders behandelt würden als kleine Mitgliedstaaten. Die Verfahren müssten aber gleich angewendet werden.

Geht es nach der Bundesregierung, könnten die genannten Zuständigkeiten aus der Behörde ausgegliedert und neue Institutionen geschaffen werden. Die Idee etwa eines europäischen Kartellamtes gibt es schon lange. Vorbild, natürlich: das Bundeskartellamt in Bonn.

Der Riss in der EU könnte noch tiefer werden

Die Kommission selbst wehrt sich gegen den Eindruck, sich zu viel anzumaßen. Auch nach den EU-Verträgen gingen die Aufgaben der Behörde "weit darüber hinaus", nur Gesetzgebung einzuleiten und durchzusetzen, sagt eine Sprecherin von Juncker. Aufgabe sei es auch, "das allgemeine Interesse der Europäischen Union zu fördern". Darüber hinaus gebe es seit dem vergangenen Jahr eine "neue institutionelle Wirklichkeit". So sei "zum allerersten Mal eine Verbindung zwischen den Europawahlen und der Ernennung des Kommissionspräsidenten geschaffen" worden. Juncker sei dann "mit überwältigender Mehrheit" durch das Europaparlament ins Amt gehoben worden.

Es sei auch richtig, dass die Kommission nun politischer sei, sie sei aber nicht parteiisch. So kann man es natürlich auch formulieren: "Politischer bedeutet einfach, dass die Europäische Kommission sich sehr klar darüber ist, was vor Ort passiert und was die Bürger von uns erwarten."

Im September steht der Fünf-Präsidenten-Bericht zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion erneut auf der Tagesordnung der EU-Finanzminister. Dann werden die Ressortchefs aus London und Paris, aus Helsinki und Rom ihre Standpunkte darlegen. Gut möglich, dass der Riss, der sich nach Schäubles Grexit-Vorschlag sichtbar durch die Gemeinschaft zieht, noch tiefer wird.

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