Süddeutsche Zeitung

EU-Kommission:Außenseiterin von der Ostsee

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Mit Ilze Juhansone ernennt Ursula von der Leyen eine ihrer engsten Vertrauten zur neuen Generalsekretärin. Die Lettin folgt auf einen Deutschen.

Von Matthias Kolb, Straßburg

Wer immer ein neues Amt übernimmt, wird zwangsläufig mit dem Vorgänger oder der Vorgängerin verglichen. Was wird übernommen und wo gibt es Neuerungen - diese Fragen stellen sich sofort. Als Generalsekretärin der EU-Kommission steht Ilze Juhansone nicht nur an der Spitze von mehr als 30 000 Beamten: Sie soll auch dafür sorgen, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Ziele möglichst gut umsetzen kann, was die 49 Jahre alte Lettin zu einer der mächtigsten Personen in Brüssel macht.

Die EU-Kommissare wussten genau, wen von der Leyen ihnen bei der Sitzung des Kollegiums vorschlug: Juhansone hatte 2015 den Posten der stellvertretenden Generalsekretärin übernommen und nach dem Abgang des Deutschen Martin Selmayr von Juli an vorübergehend die Geschäfte geführt. Sie gilt als loyal, bestens organisiert und fleißig. Sie hat sich das Vertrauen von der Leyens verdient, die auch "ihre exzellenten Beziehungen zu den Mitgliedstaaten und anderen Institutionen" lobt. Juhansone hatte als lettische Botschafterin 2015 die Ratspräsidentschaft der Baltenrepublik gemanagt und die damals gemachten Kontakte gepflegt.

Damit ist jene Personalie entschieden, über die in der Brüsseler Blase am intensivsten spekuliert wurde - und dies lag eben auch am Vorgänger. Martin Selmayr hatte unter Jean-Claude Juncker die Arbeit der Kommission auf eine Weise dominiert, dass noch heute, Wochen nach seinem Wechsel nach Wien als EU-Botschafter, viele Beamte nicht offen sprechen wollen. Als "Mischung aus Diktator Kim Jong-un und Frank Underwood" aus der Netflix-Serie "House of Cards" wurde Selmayr jüngst in der Zeitung De Volkskrant beschrieben. Über seinen Tisch gingen alle wichtigen Dokumente, und er war weniger daran interessiert, Ideen aus den diversen Bereichen der Kommission einzuholen als den Apparat dazu zu bringen, seine Ideen umzusetzen. Als Generalsekretärin ist Juhansone jeden Montag bei der Sitzung der Kabinettschefs aller EU-Kommissare dabei und hat darüber hinaus großen Einfluss auf die Agenda.

Auch Selmayrs Kritiker geben zu, dass sein Stil half, Ergebnisse zu erzielen und dass jeder wusste, wie Entscheidungen fielen. In der neuen Kommission sind viele dieser Machtkämpfe noch zu klären - vor allem zwischen den diversen Vizepräsidenten mit Koordinierungsaufgaben und jenen Kommissaren mit klaren Zuständigkeiten. In Brüssel wird erwartet, dass Juhansone als Teamplayer agieren und den Kontakt zu Medien eher meiden als suchen wird. Ähnlich wie von der Leyen ist sie in der Kommission eher Außenseiterin: Ihr erster Job war es, lettische Literatur zu unterrichten, bevor sie Jura studierte und im Außenministerium Karriere machte. Mit der Beförderung besetzt von der Leyen nicht nur eine weitere einflussreiche Stelle mit einer Frau, sondern erhöht den lettischen Einfluss in ihrem engsten Kreis: Auch ihr christdemokratischer Exekutiv-Vizepräsident Valdis Dombrovskis und der Außenpolitik-Berater Peteris Ustubs kommen von der Ostsee.

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SZ vom 16.01.2020
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