Süddeutsche Zeitung

EU-Kommissar:"Israel missachtet das humanitäre Völkerrecht"

Nach UN und Rotem Kreuz übt nun auch EU-Entwicklungskommissar Michel massive Kritik an Israels Vorgehen im Gaza-Krieg.

Israel sieht sich wegen seiner Offensive im Gaza-Streifen erstmals mit schweren Vorwürfen aus der Europäischen Kommission konfrontiert. "Israel missachtet das humanitäre Völkerrecht", sagte EU-Entwicklungskommissar Louis Michel der belgischen Zeitung La Libre Belgique.

Israel habe bei seiner Offensive im Gaza-Streifen die Pflicht, das Leben der Bevölkerung zu erhalten und für deren Schutz und Ernährung zu sorgen, sagte Michel. "Das geschieht offensichtlich nicht". Die Lage sei "dramatisch", und das Verhalten Israels gerade als demokratischer Staat nur schwer zu akzeptieren, kritisierte der belgische Kommissar.

In den letzten Tagen hatten bereits die Vereinten Nationen und das Rote Kreuz wiederholt massive Kritik an Israels Vorgehen geübt.

Die israelische Armee war heute erstmals seit Beginn der Offensive tief in die Vororte der Stadt Gaza vorgerückt. Soldaten lieferten sich dort nach Augenzeugenberichten schwere Gefechte mit militanten Palästinensern. Nach Angaben eines israelischen Militärsprechers wurden ein Offizier lebensgefährlich und zwei weitere Soldaten leicht verletzt, als eine Sprengstofffalle während einer Hausdurchsuchung explodierte. Nach Armeeangaben wurden 30 militante Palästinenser bei den Feuergefechten getroffen. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde in Gaza sind seit Beginn der israelischen Militäroffensive mindestens 930 Palästinenser getötet und weitere rund 4300 verletzt worden, unter den Toten seien fast 400 Frauen und Kinder.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich unterdessen verärgert und enttäuscht, dass bislang beide Seiten die Appelle zu einer Waffenruhe ignoriert haben. "Zu beiden Seiten sage ich: Hört auf, jetzt", sagte Ban am Montag in New York. "Zu viele Menschen sind gestorben. Zu viele Zivilisten mussten leiden. Zu viele Menschen, Israelis und Palästinenser, haben jeden Tag Angst um ihr Leben", sagte Ban vor der Abreise zu einer Mission in den Nahen Osten, wo er sich persönlich für eine Waffenruhe einsetzen wollte.

Er wurde am Mittwoch in Ägypten und Jordanien erwartet und wollte dann weiter nach Israel, in das Westjordanland, die Türkei, in den Libanon, nach Syrien und Kuwait reisen. Der UN-Generalsekretär kehrt am 20. Januar nach New York zurück, am dem Tag der Amtseinführung des künftigen US-Präsidenten Barack Obama. Er werde Obama auffordern, den Nahen Osten zu einem Schwerpunkt seiner Regierungsarbeit zu machen, erklärte Ban.

Die UN riefen unterdessen die ölreichen Golfstaaten zu Spenden für die notleidende Zivilbevölkerung auf. Für Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente würden schätzungsweise 100 Millionen Dollar benötigt, erklärte das UN-Koordinationsbüro für humanitäre Angelegenheiten auf einer Geberkonferenz in Dubai. Seit Beginn der israelischen Offensive spendeten laut UN-Angaben von den Golfstaaten lediglich Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Geld für die Palästinenser an Organisationen der Vereinten Nationen.

Dänemark prüft Schadensersatzansprüche an Israel

Die Türkei hat mit der Behandlung verletzter Palästinenser aus dem Gaza-Streifen begonnen. Zehn Palästinenser seien über Ägypten ausgeflogen worden und würden nun in Ankara behandelt, sagte ein Sprecher der staatlichen türkischen Hilfsorganisation Tika in Ankara. Die Patienten seien in erstem Zustand und würden von je einem Familienmitglied begleitet.

Unterdessen prüft die Regierung in Kopenhagen nach dem Beschuss mehrerer von Dänemark unterstützter Hilfsprojekte im Gaza-Streifen mögliche Schadensersatzansprüche an Israel. Mehrere Einrichtungen seien bei israelischen Luftangriffen zerstört worden, sagte Entwicklungshilfeministerin Ulla Toernaes dem dänischen Fernsehsender TV2 News. Unter anderem seien drei mobile Kliniken und ein Krankenhaus sowie ein Behandlungszentrum für Folteropfer getroffen worden. Sie habe ihre Juristen beauftragt, Möglichkeiten zu prüfen, um Schadensersatz von Israel zu bekommen, sagte Toernaes.

Israel: Militär "sehr, sehr kurz" vor dem Ziel

Ungeachtet der anhaltende Gewalt ließ die israelische Armee am Dienstag mehr als 100 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern in den Gazastreifen passieren. Auch während einer dreistündigen Feuerpause schlugen nach israelischen Angaben wieder Raketen im Grenzgebiet ein.

Der israelische Generalstabschef Gabi Aschkenasi kündigte am 18. Tag der Militäroffensive noch härtere Schläge gegen die radikal-islamische Hamas an. Aschkenasi sagte nach Rundfunkangaben vor dem parlamentarischen Ausschuss für Außen- und Sicherheitspolitik: "Wir haben große Erfolge im Kampf gegen Hamas, gegen seine Infrastruktur, gegen seine Herrschaft, gegen seinen militärischen Arm vorzuweisen, aber wir haben noch viel Arbeit vor uns." Man bemühe sich um eine weitere Verringerung der Raketenangriffe auf Israel, eine stärkere Abschreckung und die Schaffung einer besseren Realität für die Einwohner des israelischen Südens.

Das Militär sei "sehr, sehr kurz" davor, sein Ziel zu erreichen, sagte der israelische Minister Schaul Mofas. In der kommenden Woche werde auf einer Kabinettssitzung über das weitere Vorgehen entschieden.

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