Süddeutsche Zeitung

Erderhitzung:Wie ernst meint es die EU wirklich mit dem Klimaschutz?

Kommissar Frans Timmermans, Europas Mann fürs Klima, muss Zweifel zerstreuen vor der Konferenz in Ägypten.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Frans Timmermans, der wortgewaltige Klimamann der Europäischen Kommission, ist zuletzt ziemlich untergegangen in der öffentlichen Wahrnehmung. Seine Mission heißt "Grüner Deal", eine klimaneutrale Europäische Union bis 2050 - aber in der EU halten jetzt manche die Klimapolitik für überflüssiges Gedöns angesichts des Krieges in der Ukraine, angesichts steigender Energiepreise und drohender Gasknappheit im Winter. Erdgas wird aus den letzten Winkeln der Welt herangeschafft, Kohlekraftwerke gehen wieder in Betrieb, wichtige Klimagesetze stecken in den Brüsseler Institutionen fest. Verlässt die EU den Pfad ihrer Klimapolitik?

Das sei ein "Missverständnis", sagte Timmermans am Montag in Luxemburg, ehe er sich mit den für Umwelt zuständigen Ministerinnen und Ministern traf. Ein Missverständnis also: Der verstärkte Rückgriff auf fossile Energieträger sei nur vorübergehend, und Europa werde den Wandel hin zu erneuerbaren Energien sogar schneller schaffen als bislang geplant. Das wird seine Botschaft sein vom 6. bis zum 18. November im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich, wo der Niederländer, Stellvertreter von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wieder öffentlichkeitswirksam als Europas oberster Klimaschützer auftreten wird.

Bei dem Treffen in Luxemburg diskutierte Timmermans mit den Ministerinnen und Ministern über sein Verhandlungsmandat für den UN-Klimagipfel. Europa nehme seine Verantwortung wahr und bleibe global die treibende Kraft im Klimaschutz - klingt gut, darüber waren sich alle einig. Aber gestritten wurde sehr wohl darüber, wie weit Europa gehen kann.

Bis 2030 will die EU ihre Emissionen um 55 Prozent verringern im Vergleich zu 1990, das ist bislang das offizielle Ziel. Das Instrument dazu heißt "Fit for 55", es handelt sich um ein Paket von anspruchsvollen Klimagesetzen. Einige wichtige Gesetze hängen aber im Trialog fest, der abschließenden Verhandlungsrunde zwischen Parlament, Kommission und dem Rat der Mitgliedsländer. Der ursprüngliche Plan war, bis zum Beginn der Klimakonferenz Cop 27 Ergebnisse vorweisen zu können. Daraus wird nun offensichtlich nichts.

Bis heute warten die Entwicklungsländer auf Zahlungen der Industrieländer

Gestritten wird vor allem um den Emissionshandel, das zentrale europäische Instrument im Klimaschutz. Energieintensive Unternehmen in Europa müssen für jede Tonne CO₂, die sie ausstoßen, ein Zertifikat erwerben. Die Zahl der Zertifikate muss verknappt werden, will die EU ihr 55-Prozent-Ziel erreichen, die logische Folge: im Emissionshandel steigende Preise. Aber auch ohne die Fit-for-55-Reform waren die Preise im September schon explodiert, eine massive Belastung für die Unternehmen. Osteuropäische Länder wie Polen sperrten sich deshalb gegen eine Reform und ließen erkennen, man könne auf den Emissionshandel gänzlich verzichten.

Die Preise haben sich mittlerweile eingependelt, die Gemüter beruhigt. Aber Kommissar Timmermans kann in Scharm el-Scheich nichts Konkretes verkünden, was den Emissionshandel betrifft. Ebenso wenig beschlossen ist das milliardenschwere Programm namens "Repower", mit dem die EU den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben will, um so schnell wie irgend möglich unabhängig von fossilen Energieträgern aus Russland zu werden.

Geht bei diesen Gesetzgebungsverfahren alles nach Plan, könnte die EU ihr Klimaziel wohl auf 60 Prozent bis 2030 erhöhen, entsprechende Forderungen kommen aus dem Europaparlament. Auch die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke und die für internationale Klimapolitik zuständige Staatssekretärin Jennifer Morgan plädierten vor der Sitzung am Montag für eine höhere "Ambition" der EU, um Cop 27 mehr Schwung zu verleihen. Schließlich ist die Weltgemeinschaft noch weit davon entfernt, das 2015 in Paris beschlossene Zwei-Grad-Ziel einzuhalten. Aber wie die höhere europäische Ambition aussehen soll, bleibt auch nach der Tagung vom Montag sehr im Ungefähren.

Die beiden Deutschen waren zudem mit der Forderung nach Luxemburg gekommen, Europa solle den vom Klimawandel betroffenen Staaten mit mehr Geld helfen. Bis heute warten die Entwicklungsländer darauf, dass die Industrieländer ihr im Jahr 2009 gegebenes Versprechen einhalten, ihnen jährlich 100 Milliarden Euro zu zahlen, um sich an den Klimawandel anzupassen. Die EU will in Scharm el-Scheich alles dafür tun, dass dieses Ziel nächstes Jahr erreicht wird. Darüber hinaus fordern die Entwicklungsländer aber auch einen Fonds, um bereits eingetretene und nicht mehr vermeidbare Schäden zu bezahlen.

"Loss and Damage" lautet in der internationalen Klimapolitik der Fachbegriff dafür, Verlust und Schaden. Bislang weigerte sich Europa ebenso wie die USA, einen solchen Fonds einzurichten. Dahinter steckt die Sorge, generell für Klimaschäden in aller Welt haftbar gemacht zu werden. Die Bundesregierung hat sich nun der Sache angenommen und das Anliegen unterstützt - am Montag beschloss man in Luxemburg aber nur sehr vage: Die EU wird sich in Ägypten gesprächsbereit zeigen. Europa könne bei der Frage "Brücken bauen" zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, sagte Frans Timmermans. Aber zunächst einmal braucht es in der Klimapolitik Brücken zwischen den Europäern.

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