Gut 500 Tage lang sah es so aus, als machte die EU mit ihrem Plan zum Schutz der Wälder der Welt Ernst. Vor 16 Monaten hatten die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament einen Kompromiss gefunden, die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) war beschlossen: Von 2025 an, so sieht es das Gesetz vor, sollten keine Güter mehr die EU erreichen, für deren Herstellung Wald weichen musste. Spätestens da aber formierte sich massiver Widerstand, zuerst in den Reihen der Rohstoff-Importeure und Lebensmittelhersteller, dann auch in der Politik und in den Regierungen von Produzentenländern. Das Regelwerk mit seinen umfassenden Nachweispflichten sei so nicht umsetzbar, hieß es zuletzt immer lauter von so vielen Seiten, dass die EU-Kommission jetzt die Reißleine zieht.
Die Brüsseler Behörde beschloss am Mittwoch, den Stichtag zur Umsetzung um ein Jahr zu verschieben. Demnach müssten große Unternehmen erst von Ende 2025 an und Klein- und Kleinstunternehmen nach Juni 2026 nachweisen, dass ihre Lieferketten „entwaldungsfrei“ sind, ihre Importe mithin nicht zum Schwund von Ur- und Regenwäldern beitragen. Angesichts des „neuartigen Charakters“ der EUDR, des „straffen Zeitplans und der Vielzahl internationaler Interessengruppen“, sei die zusätzliche zwölfmonatige Übergangszeit eine Lösung, „um die Akteure weltweit bei einer reibungslosen Implementierung (…) unterstützen“, teilte die Kommission mit.
EVP-Chef Manfred Weber zeigt sich sehr zufrieden
Deren Chefin Ursula von der Leyen (CDU) löst damit ein Versprechen ein, dass sie ihrer Europäischen Volkspartei (EVP) gemacht hatte. Sie entspricht auch exakt dem, was EVP-Chef Manfred Weber unlängst in einem Brief an die Präsidentin gefordert hatte. „Die Menschen sehen, die EVP regiert in Europa. Weniger Bürokratie, mehr Augenmaß“, sagte Weber am Mittwoch mit einer gewissen Genugtuung: „Ich freue mich, dass Ursula von der Leyen meiner Initiative zur Verschiebung der Entwaldungsverordnung gefolgt ist.“ Auch die Bundesregierung – Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) inbegriffen – hatte sich der Opposition gegen eine Umsetzung zum Ende dieses Jahres angeschlossen.
Ausschlaggebend waren aber wohl weniger die Proteste aus Europa, sondern Gespräche von der Leyens mit den EU-Partnerstaaten am Rande der UN-Vollversammlung in New York. Dort äußerten Länder wie Brasilien und die USA Bedenken, da ansässige Unternehmen weder ausreichend Informationen noch die technischen Mittel hätten, um das Gesetz rechtzeitig umzusetzen. Die Kommission erkenne an, dass „mehrere globale Partner drei Monate vor dem ursprünglichen Stichtag wiederholt Bedenken hinsichtlich ihres Vorbereitungsstands geäußert haben“, hieß es in der Mitteilung der Behörde.
Um die Übergangszeit zu verlängern, legt sie dem Rat der Mitgliedstaaten und dem Parlament nun einen geänderten Gesetzesvorschlag zur Abstimmung vor. Die Änderungen beschränken sich auf das Datum des Inkrafttretens. Theoretisch könnten sowohl der Rat als auch das Parlament das komplette Gesetz noch einmal aufschnüren. Praktisch hat die Kommission als Druckmittel, den neuen Vorschlag einfach wieder zurückzuziehen – womit es beim ursprünglichen Zeitplan bliebe.
Europäische Verbraucher sind für zehn Prozent des Waldverlustes in der Welt verantwortlich
Die Entwaldungsverordnung ist Teil von Ursula von der Leyens Grünem Deal, mit dem sie die EU bis 2050 klimaneutral machen will. Der Gedanke dahinter: Verbietet die EU den Import von Rohstoffen und Produkten, für die Wald gerodet wurde, schützt sie weltweit Bäume und bereinigt Lieferketten so, dass die europäischen Konsumenten nicht mehr – wie bislang – für etwa zehn Prozent des weltweiten Waldverlustes verantwortlich sind.
Das Gesetz beschränkt sich auf Soja, Palmöl, Holz, Kakao, Kaffee, Rindfleisch und Kautschuk sowie daraus hergestellte Produkte – mithin auch Papier, Lederwaren oder Reifen. Unternehmen, die diese Waren in die EU importieren oder hier verkaufen, müssen künftig nachweisen, dass ihre Lieferketten frei von Entwaldung sind und die Rohstoffe legal in den Herkunftsländern produziert wurden, und das alles den Behörden melden. Zahlreiche Wirtschaftsverbände hatten bis zuletzt beklagt, dass ihnen die Zeit der Vorbereitung fehle, weil die Kommission weder die jetzt am Mittwoch veröffentlichten Leitlinien bereitgestellt hatte, noch die technische Plattform freigeschaltet gewesen sei. Letztere soll nun im November zur Verfügung stehen.
Befürworterinnen des Gesetzes zeigten sich entsetzt. Anna Cavazzini, handelspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, sprach von einem „Trauerspiel“. Die Verschiebung passiere „im Kontext der größten Waldvernichtung der letzten Jahre auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Sie ist ein frontaler Angriff auf den Green Deal.“ Delara Burkhardt, die das Gesetz für die Sozialdemokraten im Europaparlament mit verhandelt hatte, warf von der Leyen eine „lange Untätigkeit“ vor, mit der sie „für unnötige Verunsicherung bei allen Betroffenen“ gesorgt habe.