EU-Haushalt:Überzogener Streit

Sondergipfel, Scheitern, neuer Sondergipfel: Die EU kann sich bisher nicht auf einen neuen Haushalt einigen. Der Streit ist übertourt und grotesk. Natürlich müssen die Regierungen um einen Kompromiss ringen. Aber bitte unaufgeregter, ohne falsches Pathos und ohne Lust am Drama.

Von Björn Finke

Man könnte meinen, es ginge um etwas sehr, sehr wichtiges: Der erste Vorschlag ist fast zwei Jahre alt, danach beschäftigten sich EU-Botschafter und Minister ausdauernd damit, bevor sich schließlich die 27 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer auf einem Sondergipfel damit befassten. Und zwar mehr als 24 Stunden lang. Dieses Treffen endete am Freitagabend in Brüssel ohne Einigung, nun soll es einen zweiten Sondergipfel geben. So viel Mühe, so viel Streit, so viel kostbare Arbeitszeit der Spitzenpolitiker - und das für eines der am meisten überschätzten Themen im EU-Politikzirkus: den mehrjährigen Finanzrahmen.

Alle paar Jahre wieder zerfleischen sich die Vertreter der Mitgliedstaaten über die Frage, wie viel Geld die EU in den kommenden sieben Jahren ausgeben darf; jetzt geht es um 2021 bis 2027. Die Diskussionen sind immer schwierig, jeder Regierungschef will zuhause verkünden können, er habe hart gekämpft und schließlich einen Sieg errungen: mehr Geld für dieses und jenes, und am besten steigen die Beiträge zum Budget weniger stark als im Nachbarland.

Doch diese übertourte Rhetorik und das ganze aufgeblasene Drama sind grotesk. Zwar sind Verhandlungen über nationale Haushalte - etwa den Bundeshaushalt - ebenfalls hitzig, aber dort geht es auch um viel mehr: um riesige Summen, darum, ob Wahlversprechen eingehalten werden, ob genug Geld für Verteidigung oder Schulen da ist. Im Durchschnitt liegen die Staatsausgaben der EU-Mitglieder bei fast der Hälfte der Wirtschaftsleistung, der EU-Etat dagegen bewegt sich zwischen 1,0 und 1,14 Prozent. Wenn sich viel beschäftigte Regierungschefs jetzt die Nächte um die Ohren schlagen, um einen Vorschlag von 1,07 auf 1,05 Prozent zu drücken, reden sie über gut 20 Milliarden Euro - aufgeteilt auf sieben Jahre und 27 Mitglieder.

Die Summen, um die gefeilscht wird, sind auch ein Witz verglichen mit den Vorteilen, die der gemeinsame Binnenmarkt - also der Abbau von bürokratischen Hürden bei Exporten - Unternehmen und Verbrauchern bringt. Fachleute schätzen, dass der volkswirtschaftliche Nutzen die Beiträge der Regierungen zum EU-Haushalt um mehr als das Sechsfache übersteigt.

Doch die Klagen von Betrieben über verbleibende Hürden bei Geschäften im EU-Ausland nehmen zu; der Binnenmarkt könnte besser funktionieren, vor allem bei Dienstleistungen: Dies nun wäre eine lohnende Aufgabe für einen Sondergipfel. Die Staats- und Regierungschefs könnten all das politische Kapital und all den Einsatz für die Budget-Verhandlungen viel sinnvoller für die Lösung solcher Probleme verwenden. Es gibt reichlich Themen, die bedeutsamer sind als der Streit um ein paar Milliarden Euro auf sieben Jahre: etwa die Frage, wie die Staaten bei der Bankenunion - einem einheitlichen Markt für Geldhäuser - vorankommen. Oder wie die Außenpolitik der EU schlagkräftiger werden kann. Oder wie Brüssel den grünen Umbau der Wirtschaft am besten unterstützt.

Das heißt nicht, dass der Etat gar keine Verhandlung wert ist. Natürlich müssen die Regierungen um einen Kompromiss ringen. Aber bitte unaufgeregter, effizienter, ohne falsches Pathos, ohne Lust am Drama - und stets im Bewusstsein, dass die Debatte um Hundertstel-Prozentpunkte eigentlich nicht so wichtig ist.

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