EU-Haushalt:Deutschland hält die Europäische Union hin

Bundesregierung EU-Haushalt

Ist die Luft raus aus Europa, aus Deutschland? Darüber jedenfalls klagen die Deutschen gern.

(Foto: Steinach/imago)
  • In ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, die Europäische Union finanziell zu stärken, "damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann".
  • Doch seit Monaten verfolgt die Bundesregierung eine Hinhaltetaktik. In den Brüsseler Verhandlungen lässt sie sich bisher kaum in die Karten schauen.
  • Es geht vor allem um die Frage, ob Deutschland einschneidende Reformen beim Haushalt befürwortet, wie sie von der EU-Kommission vorgeschlagen wurden.

Von Daniel Brössler, Cerstin Gammelin, Berlin, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Das Versprechen steht ziemlich weit vorne, auf Seite 8. "Wir sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit. Wir wollen einen Haushalt, der klar auf die Aufgaben der Zukunft mit europäischem Mehrwert ausgerichtet ist", ist im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot zu lesen. Das passt zum "neuen Aufbruch für Europa", wie ihn der Vertrag schon in der Überschrift verspricht.

Wer ein Jahr nach Amtsantritt der Bundesregierung schauen will, was aus den Ankündigungen geworden ist, findet die Antwort in ganz anderen Dokumenten. Etwa in einer Weisung aus dem Auswärtigen Amt zur Sitzung der EU-Botschafter am 13. März. "Reaktiv" solle er agieren, wird der deutsche Vertreter Michael Clauß angewiesen. "Keine Vorfestlegungen zur Mittelausstattung von Programmen", ist in der Weisung zu lesen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Soll heißen: Seit Monaten verfolgt die Bundesregierung eine Hinhaltetaktik. "Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann", heißt es im Koalitionsvertrag. In den Brüsseler Verhandlungen aber lässt sich die Bundesregierung bisher kaum in die Karten schauen.

"Wenn es ums Geld geht, wird so lange gestritten, bis es nicht mehr geht"

Eigentlich wollte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger den neuen mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 schon vor der Europawahl Ende Mai unter Dach und Fach bringen. Doch davon hat er sich bereits lange verabschiedet. "Es ist wie immer in der Europäischen Union", sagt ein EU-Diplomat, "wenn es ums Geld geht, wird so lange gestritten, bis es nicht mehr geht." Unter den Mitgliedstaaten stelle man sich jedenfalls darauf ein, dass der nächste Finanzrahmen wohl erst im zweiten Halbjahr 2020 beschlossen werden dürfte. Dann hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne und müsste als möglichst ehrlicher Makler zwischen den unterschiedlichen Interessen vermitteln. So erklären die Deutschen in Brüssel auch gerne ihre bisherige Zurückhaltung, doch das ist nicht die ganze Wahrheit.

Im Kern geht es um die Frage, ob Deutschland einschneidende Reformen beim Haushalt befürwortet, wie sie von der EU-Kommission vorgeschlagen wurden. So sollen künftig statt 73 Prozent der Ausgaben nur noch 60 Prozent in die größten Blöcke fließen - also in die Landwirtschaft und in die Kohäsionspolitik, die wirtschaftsschwächeren Regionen helfen soll. Dadurch soll - trotz sinkender Einnahmen durch den Brexit - Geld frei werden für neue Aufgaben, etwa den Schutz der Außengrenzen, Verteidigung, Migration und Forschung - ganz im Sinne des Koalitionsvertrages.

Wenn es allerdings konkret wird, halten sich die deutschen Vertreter in Brüssel im Ungefähren. So betont Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) in den Sitzungen der Europaminister, wie wichtig Deutschland Rechtsstaatlichkeit, Migration und Klimapolitik als Schwerpunkte der Haushaltsplanungen seien. Seine Kollegen hingegen werden schon jetzt regelmäßig konkret. So kommt etwa aus Frankreich, Irland, Lettland und Spanien ein klares Nein zu Kürzungen in der Landwirtschaftspolitik. Deutschland schweigt dazu - wie zu vielen anderen Fragen. Die Linie des Hinhaltens geht durchgängig aus einer ganzen Reihe von "VS - Nur für den Dienstgebrauch" eingestuften Weisungen und Sitzungsberichten aus der Brüsseler Vertretung hervor, die der SZ vorliegen.

Frankreich will mehr Geld für den Klimaschutz - Deutschland nicht

Das hat nicht nur mit Verhandlungstaktik zu tun, sondern auch damit, dass innerhalb der Bundesregierung die Positionen noch gar nicht klar sind. Zwar hat sich Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) schon festgelegt, dass sie keine Kürzungen im Agrarbereich will. Mit ihrem französischen Kollegen verabschiedete sie im Sommer eine Erklärung, die in die Forderung mündet, dass das EU-Agrarbudget auf "dem derzeitigen Stand mit 27 Mitgliedstaaten aufrechterhalten wird". Das allerdings passt kaum zu den "neuen Schwerpunkten", die von der Bundesregierung gefordert werden.

Als es kürzlich in der Arbeitsgruppe zum mehrjährigen Finanzrahmen in Brüssel darum ging, wie hoch der Anteil der Ausgaben sein soll, die der Verwirklichung der Klimaziele dienen, bezog Deutschland dann aber doch Position. Frankreich forderte einen Anteil von 40 Prozent, Deutschland sprach sich wie fast alle anderen für einen Anteil von 25 Prozent aus. "Weltweit streiken immer mehr junge Menschen aufgrund der Klimakrise, und Deutschland verhindert mehr Geld für den Klimaschutz. Nie sah die Bundesregierung älter aus", kritisiert das die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner.

Wer in Berlin in diesen Tagen in der Bundesregierung nachfragt, wie es denn um die im Koalitionsvertrag beschlossene Zusage steht, dass Deutschland bereit ist, mehr in den EU-Haushalt einzuzahlen, wird in einen verbalen Irrgarten geschickt. Und das, obwohl gerade kräftig geplant wird. An diesem Mittwoch will das Bundeskabinett die Eckpunkte für den Bundeshaushalt 2020 und den Finanzplan bis 2023 verabschieden. Wie viel Europa darin enthalten ist, bleibt bislang im Ungefähren.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat bereits im vergangenen Jahr erklärt, dass er den großen EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 erst mit der nächsten EU-Kommission verhandeln will - und die kommt frühestens Ende dieses Jahres ins Amt. Bis dahin will sich Scholz nicht in die Karten schauen lassen.

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