Brexit:"Wir können nicht ewig so weiter machen"

Fourth Round Of Future Relationship Negotiations Between The EU And The UK

EU-Chefunterhändler Michel Barnier ist sichtlich frustriert bei der Pressekonferenz nach den Verhandlungen.

(Foto: Getty Images)

Die Brexit-Verhandlungen stecken mal wieder fest. Und das liegt nicht nur an den Videokonferenzen, sondern auch an der Substanz, wie EU-Chefunterhändler Barnier festhält.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel, Alexander Mühlauer, London

Zum vierten Mal fasst Michel Barnier eine Brexit-Verhandlungsrunde zusammen, und zum vierten Mal lautet seine Bilanz: "Wir haben keine bedeutenden Fortschritte erzielen können." Für den EU-Chefunterhändler steht fest: "Wir können nicht ewig so weiter machen." Auch der britische Verhandlungsführer David Frost spricht von "begrenzten Fortschritten". Man stehe kurz davor, an die Grenzen dessen zu stoßen, was man in Videokonferenzen erreichen könne. Dass die nächste Runde nun von Angesicht zu Angesicht geplant ist, freut deshalb beide. Die Hoffnung ist groß, dass die Verhandlungen dadurch leichter und effektiver werden. Barnier lässt allerdings keine Zweifel: Dass die Gespräche über die künftigen Beziehungen nach dem EU-Austritt der Briten feststecken, liege "nicht an der Methode, sondern an der Substanz".

Am Freitagmittag wendet sich der Franzose ungewöhnlich direkt an die Schlüsselfigur im Brexit-Drama: Premierminister Boris Johnson. Barnier hält ein Papier in die Luft: "Das ist die politische Erklärung. Sie ist in allen Sprachen der EU verfügbar, also auch in Englisch, und eigentlich keine schwierige Lektüre." Danach führt Barnier aus, dass "Johnson persönlich" dieses Dokument im Herbst 2019 ausgehandelt habe, dessen Inhalt seine Regierung nicht mehr umsetzen wolle. Er nennt immer wieder Johnsons Namen und zitiert einzelne Paragrafen, von denen sich die Briten nun distanzieren würden.

Barniers Frust angesichts der kompromisslosen britischen Haltung mag verständlich sein, allerdings ist die zitierte Erklärung rechtlich nicht bindend - anders als das Austrittsabkommen. Monatelang hatten EU-Diplomaten betont, wie flexibel die politische Erklärung sei, und Reportern erklärt: "Dort schreiben wir die Dinge rein, um den Briten die Zustimmung zu erleichtern und die uns nichts kosten." Dass London darin vor allem "Eckpunkte" sieht, um die eigenen Ziele zu erreichen, verwundert nicht.

Die politische Erklärung sieht für Juni ein Treffen "auf hoher Ebene" vor, deren Teilnehmer nicht genau definiert sind. Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel dürften die EU im Gespräch mit Premier Johnson vertreten. Dieser sei der Einzige, so ist man sich in Brüssel einig, der für neue Dynamik sorgen könne. Der Termin ist noch offen, aber es spricht einiges dafür, dass das Treffen vor dem EU-Gipfel am 19. Juni stattfindet, damit die Staats- und Regierungschefs über das weitere Vorgehen beraten können.

Zu großen Zugeständnissen wird es wohl nicht kommen

Dass die EU-27 nicht zu großen Zugeständnissen bereit sein dürften, macht Frankreichs Europaministerin Amélie de Montchalin im Gespräch mit der SZ deutlich. Alle Mitgliedstaaten seien sich einig, "dass wir nicht irgendwas unterschreiben können, nur damit es am Ende einen Vertrag gibt". Auch wenn man verhindern wolle, dass die Firmen in der EU und Großbritannien "nach dem Schlag durch die Pandemie noch einen zweiten Treffer einstecken müssen, wenn die Verhandlungen scheitern", müsse man langfristig denken. Ein Abkommen werde "über Jahrzehnte Folgen haben", argumentiert sie: "Wir dürfen nicht unsere Unternehmen und Beschäftigten dem Risiko unfairer Konkurrenz aus Großbritannien aussetzen." Zudem sei klar, dass "wir nicht ganze Berufsgruppen wie die Fischer für ein schnelles Abkommen opfern" dürfen.

Über dieses für Frankreich, Belgien und Dänemark so zentrale Thema wurde nun zwei Tage lang verhandelt - ohne Erfolg. Für die französische Ministerin ist klar: "Wir müssen uns daher vorsorglich auf ein Scheitern der Gespräche vorbereiten." Neben Fischerei ist nach wie vor das sogenannte Level Playing Field umstritten, also die Frage, inwieweit Großbritannien künftig EU-Wettbewerbsregeln berücksichtigt und etwa Standards im Umweltschutz einhält.

Die zentrale Rolle, einen chaotischen No-Deal-Austritt zum Jahreswechsel abzuwenden, kommt damit auf Deutschland zu, das im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Er gehe davon aus, dass der Brexit im September und Oktober "den Großteil der politischen Aufmerksamkeit absorbieren" werde, sagte der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß am Donnerstag bei einer Online-Veranstaltung des European Policy Centre. Wie Barnier betont Clauß, dass die Zeit dränge: Damit ein Deal vom EU-Parlament ratifiziert werden könne, sollte er im Oktober fertig sein.

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