Süddeutsche Zeitung

Schmiergeldskandal:Griechische Sozialdemokraten distanzieren sich von Kaili

Die Partei in Athen schließt die Europaabgeordnete aus ihren Reihen aus. Ihr Vorsitzender wirft ihr zudem vor, sie sei ihm bei der Aufarbeitung eines Abhörskandals in den Rücken gefallen.

Von Tobias Zick, Athen/München

Ein Korruptionsskandal von internationaler Tragweite, das ist in der Tat das Letzte, was die Pasok-Kinal, die Partei der griechischen Sozialdemokraten, gebrauchen kann. Und schon gar nicht auf ihrem "Weg nach oben", wie ihr Vorsitzender ihn der Partei großzügig attestiert. Noch am Sonntag schloss Pasok-Kinal Eva Kaili aus, da war der Korruptionsskandal um die EU-Abgeordnete noch keine 48 Stunden alt. Parteichef Nikos Androulakis erklärte, man werde "keine Kompromisse mit jenen machen, die der Partei in der Vergangenheit geschadet haben". Ein solches Verhalten werde "nicht toleriert".

In Griechenland ist der Wahlkampf bereits im Gange, voraussichtlich wird im Frühjahr 2023 gewählt. Pasok-Kinal stellt sich seit Längerem darauf ein, als Königsmacherin gebraucht zu werden. Das wäre immerhin ein Wiederaufstieg aus der weitgehenden Bedeutungslosigkeit, in der die traditionsreiche sozialdemokratische Partei des einstigen Regierungschefs Andreas Papandreou verharrt, seit sie in den Jahren der Finanzkrise von der radikaleren Syriza als wichtigste linke Kraft verdrängt wurde. Bei der letzten Parlamentswahl 2019 kam Pasok-Kinal in einem Bündnis mit anderen Parteien nur noch auf 8,1 Prozent der Wählerstimmen.

Zumindest wieder in die Schlagzeilen gelangte die Partei im Juli dieses Jahres, als herauskam, dass es Versuche gegeben hatte, das Smartphone ihres Vorsitzenden mit einer neuartigen Spionagesoftware namens Predator zu infizieren. Die Software ermöglicht es, praktisch den gesamten Inhalt des Speichers auszulesen sowie Kamera und Mikrofon zur multimedialen Wanze umzufunktionieren. Androulakis, zugleich Europa-Abgeordneter, erfuhr von dem Angriff, nachdem ihn ein technischer Sicherheitsdienst des Europäischen Parlaments informiert hatte, dass sein Telefon zum Ausspähziel geworden war. Allerdings war er nicht der fatalen Versuchung erlegen, auf den ihm zugesandten Köder-Link zu klicken, der die Infektion ausgelöst hätte.

Wie später herauskam, begann kurz nach dem gescheiterten Spyware-Angriff eine dreimonatige Phase, in der der staatliche Geheimdienst EYP Androulakis mit herkömmlichen Methoden überwachte. Der Lauschangriff fiel in die Zeit, als der Politiker gerade für den Parteivorsitz kandidierte. Premierminister Kyriakos Mitsotakis, Vorsitzender der konservativen Nea Dimokratia (ND), beteuerte in einer öffentlichen Ansprache sein Bedauern über die Vorgänge. Die Abhöraktion sei zwar "technisch legal" gewesen. Er selbst aber habe nichts davon gewusst: "Und natürlich hätte ich das nie genehmigt." Oppositionspolitiker zogen die Darstellung in Zweifel und verwiesen darauf, dass Mitsotakis kurz nach seinem Regierungsantritt den Geheimdienst der direkten Kontrolle seines Amtes unterstellt hatte. Der Geheimdienstchef sowie Mitsotakis' Büroleiter, zugleich ein Neffe von ihm, traten infolge der Abhörvorwürfe von ihren Posten zurück.

Erst im Sommer gab es eine Affäre, die "Griechenlands Watergate" genannt wurde

Im Zuge der Affäre, die mitunter als "Griechenlands Watergate" bezeichnet wird, kam zudem heraus, dass auch der Wirtschaftsjournalist Thanasis Koukakis abgehört worden war. Er hatte der Regierung etwa in Beiträgen für die Financial Times vorgeworfen, die Gesetzgebung im Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung aufzuweichen. Nicht nur auf dem klassischen Wege war er vom Geheimdienst EYP überwacht worden, sondern hatte - anders als der Politiker Androulakis - auf einen Link geklickt, der sein Telefon mit der Predator-Software infizierte. Und die Zeitung Documento veröffentlichte in mehreren Beiträgen Listen weiterer mutmaßlicher Abhöropfer, darunter Mitglieder des aktuellen Kabinetts der Mitsotakis-Regierung.

Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung bekräftigte der Regierungschef Ende November, er habe von den Abhöraktionen wie auch vom Einsatz von Spionagesoftware "absolut nichts" gewusst. Die Justiz gehe allen Vorwürfen nach. Es habe allerdings, so Mitsotakis, im Falle der formal legalen Überwachungen ein "institutionelles Versagen" gegeben. Am vergangenen Freitagabend hat die ND-Mehrheit im Athener Parlament ein neues Gesetzespaket verabschiedet, das die Hürden für legales Abhören deutlich höher legt und zusätzliche Kontrollinstanzen einführt. Zudem soll es Vertrieb und Einsatz von Spionagesoftware im Land kategorisch verbieten - nachdem die linke Syriza-Regierung 2019 illegale Überwachung per Gesetz von einer Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft hatte.

Die Opposition allerdings will Mitsotakis so einfach nicht davonkommen lassen. Am Wochenende legte Documento mit einer neuen Enthüllung nach. Demnach soll auch der frühere Arbeitsminister Kostis Chatzidakis vom Geheimdienst EYP ausspioniert worden sein. Syriza-Chef Alexis Tsipras, der von 2015 bis 2019 Premierminister war, warf Mitsotakis daraufhin am Montag in einem Fernsehinterview vor, er "verschleiere" und "lüge" in Bezug auf seine eigene Rolle in dem Skandal. Mitsotakis, so donnerte Tsipras, sei "mitschuldig".

Der Vorsitzende von Pasok-Kinal, Nikos Androulakis, warf der geschassten Eva Kaili indes vor, als Mitglied eines europäischen Untersuchungsausschusses zur Spyware-Affäre habe sie den Fall seiner eigenen Abhörung heruntergespielt. Die konservative Partei habe Kaili als "trojanisches Pferd" innerhalb von Pasok-Kinal eingesetzt, wetterte er. Die ND wies die Vorwürfe scharf zurück. Der griechische Regierungssprecher Jannis Ikonomou sagte, es sei "unfassbar", dass Androulakis die Angelegenheit so darstelle, als ob die Enthüllungen über die Pasok-Europaabgeordnete Kaili "nicht auf ihm und seiner Partei lasten würden, sondern auf der Nea Dimokratia".

Noch Ende November hatte Pasok-Kinal-Sprecher Dimitrios Mantzos auf Nachfrage der SZ eine mögliche Koalition mit der ND nicht kategorisch ausschließen wollen, trotz der Enthüllungen über die geheimdienstliche Überwachung ihres Vorsitzenden: Jegliche Koalitionsgespräche sollten "auf der Basis politischer Programme" geführt werden, sagte Mantzos damals. Jetzt hat sich Parteichef Nikos Androulakis zu einem "progressiven" Bündnis bekannt - also zu einer Koalition mit der linken Syriza: Man wolle die ND "in die Opposition schicken". Zumindest im Hinblick auf die politischen Lager haben die griechischen Wähler seit dem Wochenende also nun ein bisschen mehr Klarheit.

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