EU-Gipfeltreffen:EU geht geschlossen in die Brexit-Verhandlungen

Germany's Chancellor Merkel arrives at a EU summit in Brussels

Bundeskanzlerin Merkel beim Gipfeltreffen in Brüssel.

(Foto: REUTERS)
  • Die verbleibenden 27 EU-Staaten haben sich bei einem Gipfel in Brüssel überraschend schnell auf ihre Brexit-Strategie geeinigt.
  • Die Länder wollen Einheit und Geschlossenheit gegenüber London demonstrieren.
  • Die EU will zunächst über die Scheidung verhandeln, bevor anschließend die Neugestaltung der Beziehungen nach dem Austritt des Königreichs Thema sein soll.

Von Sebastian Jannasch, Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer, Brüssel

Ob es denn irgendeine Überraschung bei diesem Gipfeltreffen gegeben habe, wurde Donald Tusk am Ende gefragt. Ja, doch, eine habe es gegeben, antwortete der EU-Ratspräsident. "Es waren die vier Minuten, die wir brauchten, um die Richtlinien zu verabschieden. Das ist historisch, schließlich ging es doch um etwas Wichtiges."

Das Wichtige, das die 27 Staats- und Regierungschefs am Samstag in Brüssel besprachen, waren die Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen, die spätestens nach den britischen Wahlen im Juni endlich beginnen sollen. Die 27 wollten vor allem Einheit und Geschlossenheit demonstrieren, und das gelang ihnen. Sie betraten den Verhandlungsraum, setzten sich, Applaus, und das war es dann schon: einstimmig verabschiedet.

Die EU-Kommission hat damit formell ein Mandat erhalten, eine ausführliche Strategie für die Austrittsverhandlungen auszuarbeiten. Die sogenannten Directives sollen bereits an diesem Mittwoch an die EU-Staaten verschickt werden. Ende Mai sollen sie dann von den EU-Regierungen gebilligt werden.

Die Staats- und Regierungschefs hatten am Samstag die Möglichkeit, ihre besonderen nationalen Anliegen vorzutragen. Dazu gehört etwa die Frage des Verhältnisses zwischen Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland. Dort haben die Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken in den vergangenen Jahren abgenommen. Durch den Brexit könnte sich dieser Konflikt wieder verschärfen. Merkel hat diese Frage als eine von Krieg und Frieden bezeichnet.

Die EU versichert, dass sie Nordirland bei einer Vereinigung mit Irland als Teil der EU ansehen werde. Dazu müsste es aber zuvor ein Referendum geben, das im Friedensabkommen für Nordirland von 1998 auch vorgesehen ist. Einer Volksabstimmung müssten sowohl die irische als auch die britische Regierung zustimmen. Im Brexit-Referendum hatten die Nordiren im Juni 2016 mehrheitlich gegen einen EU-Austritt gestimmt.

In Brüssel zeigte sich zudem, dass in der EU bereits ein Rennen um die bisher in London ansässige Europäische Bankenaufsicht sowie die Europäische Arzneimittel-Agentur begonnen hat. "Die Agenturen können nicht in London bleiben. Sie müssen auf den Kontinent", betonte Juncker.

Erst soll der Ausstieg, dann der künftige Status verhandelt werden

Nun ist auch offiziell beschlossen, dass die Brexit-Verhandlungen in zwei Schritten geführt werden. Zunächst wird über die rechtliche Entflechtung Großbritanniens aus Tausenden von EU-Regelungen gesprochen. Danach wird der künftige Status des Landes mit der EU verhandelt.

Es sei keineswegs selbstverständlich, dass man sich auf diese Strategie habe verständigen können, hieß es bei EU-Beamten, da habe es auch andere Ansichten gegeben. Mit dieser Festlegung ist nach Ansicht hoher EU-Diplomaten ein Tauschhandel zwischen den beiden Phasen ausgeschlossen. Es wird also nicht möglich sein, den Briten eine besonders unangenehme Trennungsfolge zu versüßen, indem die EU ihnen eine künftige Handelserleichterung in Aussicht stellt. Es sei wie bei einer Scheidung, die eben auch hässliche Seiten haben könne, sagte ein Beamter. "Erst muss man sich über die Trennungsbedingungen im Klaren sein, dann kann man über die künftige Beziehung nachdenken."

In der ersten Phase muss geklärt werden, welche Rechte EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU künftig haben werden, insgesamt sind es 4,5 Millionen, in deren Leben der Brexit, wie es Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ausdrückte, "auf teilweise tragische Weise eingreift".

Hier fordert die EU "echte Garantien", das heißt mehr als ein bloßes "Gentleman's Agreement", wie es manchem in London vorschweben mag. Und dann sind da noch die Finanzforderungen der EU an Großbritannien. Eine konkrete Summe wollte keiner nennen am Samstag, im Raum stehen 60 Milliarden, die London zahlen soll.

Tusks Team hat wirklich gute Arbeit geleistet

Noch hält die Einheit der 27 also. "Wir leben zu diesem Zeitpunkt in der besten aller Welten", sagt ein EU-Diplomat. "Man muss die Zeichen künftiger Probleme noch mit der Lupe suchen." Das Team von Ratspräsident Tusk hat, wie allseits hervorgehoben wird, wirklich gute Arbeit geleistet und einen Text vorgelegt, der klar und verständlich ist, umfassend, ohne auszuufern, und der nicht zuletzt eine gewisse Unerbittlichkeit zum Ausdruck bringt, die signalisieren soll, dass die EU sich von den Briten auf keinen Fall und in keinem einzigen Punkt über den Tisch ziehen lassen will.

Wie lange diese Einheit hält? Die engsten Handelspartner der Briten auf Seiten der EU, vorweg die Benelux-Staaten und Dänemark, haben wenig Interesse an einem besonders harten Auftreten gegenüber London oder gar einer "Bestrafung". Entsprechend gibt es in diesen Ländern auch Sympathie für die Forderung der Briten, möglichst bald über das künftige Verhältnis zwischen beiden Seiten nachzudenken, also nicht erst, wenn über jedes Komma bei den Trennungsverhandlungen Einigkeit entstanden ist. "Man will sich natürlich nicht ewig mit der Vergangenheit aufhalten, sondern der Zukunft zuwenden", formuliert ein EU-Diplomat, was viele in Den Haag, Brüssel oder Luxemburg denken.

Da gebe es ein gewisses "Potenzial für Debatten". Hier hebt zumindest Bundeskanzlerin Angela Merkel entschieden den Zeigefinger: "Wir dürfen nicht den dritten Schritt vor dem ersten tun." Sie wisse, "wie schwierig das sein wird", aber davon hänge eben die Einigkeit der verbleibenden Länder ab. Was aus den 27 in der Zukunft werde, wie das Verhältnis zur Türkei, zu den USA sich gestalte, das alles hänge von der Art und Weise und vor allem der Geschlossenheit ab, mit der die Rest-EU in den Verhandlungen mit Großbritannien auftrete. Und dann noch ein Hinweis von ihr: "dass wir auch an unsere eigenen Probleme denken", und man sich nicht nur noch mit dem britischen Austritt beschäftigen möge.

In Brüssel stellen sich die EU-Beamten nun auf harte Gespräche ein. Erste Anzeichen, dass die Scheidung auch auf anderen Ebenen schwierig werden dürfte, gab es in dieser Woche. Die Briten blockierten die turnusgemäße Überprüfung des mittelfristigen Finanzrahmens. Ihre Begründung war eine Provokation für die EU der 27: Man könne keine weitreichenden finanziellen Verpflichtungen mehr eingehen, weil die Regierung im Wahlkampf stecke und nicht klar sei, wie die nächste Regierung aussehe. "So eine Haltung hat natürlich einen negativen Effekt auf die Verhandlungen", sagte ein EU-Diplomat.

Der französische Präsident François Hollande nutzte seinen letzten Auftritt bei einem EU-Gipfel, um eine "Ode an Europa" vorzutragen, wie er selbst sagte. Vor der entscheidenden zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen am 7. Mai rief er die Franzosen auf, ihre Zustimmung zu Europa auszudrücken. "Es ist eine Entscheidung für Frankreich, aber es ist auch eine Entscheidung für Europa", sagte der scheidende Staatspräsident. Wer verhindern wolle, dass eine mögliche Präsidentin Marine Le Pen Frankreich aus der EU und dem Euro führe, müsse für Emmanuel Macron stimmen. Die Europäische Union schränke Frankreich nicht ein, sondern stärke das Land. Mit Blick auf die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien machte Hollande deutlich, dass es einen hohen Preis habe müsse, die EU zu verlassen. Das solle auch den Europakritikern im eigenen Land ein Beispiel sein.

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