Süddeutsche Zeitung

EU-Gipfeltreffen:Die Europäische Union in Gruppentherapie

Die Erklärung, die die Staats- und Regierungschefs in Rom besiegelt haben, verrät einiges über den Zustand der Union - und darüber, wie sie gerne wäre.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Rom

Ein Satz ist hängen geblieben. "Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint", postulierte die Berliner Erklärung von 2007 zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge. Vielleicht ist er deshalb so häufig zitiert worden, weil er selbstverständlich als Tatsache hinstellt, woran so viele zweifeln. Zehn Jahre danach feiert sich die EU erneut mit einer Erklärung - zu unterzeichnen an diesem Wochenende in Rom von den Staats- und Regierungschefs jener 27 Länder, die der EU nach dem Austritt Großbritanniens treu bleiben. Es ist darin vom "Stolz auf die Errungenschaften der Europäischen Union" die Rede, von einer "einzigartigen Union mit gemeinsamen Institutionen und starken Werten". Aber was wird davon hängen bleiben?

Die Römische Erklärung ist eine Mischung aus Selbstvergewisserung und Aufgabenzettel. "Wir werden die EU stärker und widerstandsfähiger machen durch noch größere Einigkeit und Solidarität unter uns und den Respekt vor gemeinsamen Regeln", heißt es im jüngsten Entwurf, dem die europapolitischen Chefberater aus den Hauptstädten zugestimmt haben.

Der Text ist Ergebnis eines gruppendynamischen Prozesses, den die Anführer der 27er-EU nach dem Schock des Brexit-Votums begonnen hatten. Sie trafen sich zunächst in Bratislava, dann auf Malta, um sich klar darüber zu werden, worauf man sich noch verständigen kann. Die Römische Erklärung ist daher voller Erwartungen und Versprechen. Der Streit über unterschiedliche Geschwindigkeiten wird mit einem Bekenntnis zu einer gemeinsamen Richtung für beendet erklärt. Und wenn vom Respekt für Regeln die Rede ist, meint das Verfassungstreue in Polen ebenso wie die Einhaltung von Sparzielen in Griechenland. Die EU beschreibt sich nicht so wie sie ist, sondern wie sie gerne wäre: "Unsere Union ist ungeteilt und unteilbar."

Ansonsten enthält die Erklärung eine Art Zehn-Jahres-Plan für vier Bereiche, welche die Regierungen der Mitgliedsländer für vorrangig halten. Versprechen Nummer eins ist ein "sicheres Europa". Alle Bürger sollen sich innerhalb gesicherter Außengrenzen frei bewegen können. Die Migrationspolitik der EU soll "effizient, verantwortungsbewusst und nachhaltig" sein. Auch der Kampf gegen Terrorismus wird erwähnt.

Groß soll die Union bei großen Themen sein - und klein bei kleinen

Das zweite Versprechen ist ein "wohlhabendes Europa". Also "eine Union, die Wachstum und Arbeitsplätze schafft" und daran arbeitet, die Wirtschafts- und Währungsunion zu vollenden. Konkreter wird es nicht, denn die Vorstellungen, wie die Euro-Zone künftig aussehen soll, klaffen weit auseinander. So lange sich Frankreich und Deutschland nicht einig sind, bleibt die gemeinsame Währung krisenanfällig.

Auch die Formulierung für Versprechen Nummer drei offenbart ungelöste Konfliktlinien der Staatengemeinschaft. Ein "soziales Europa" klingt gut, doch was heißt das? In der Römischen Erklärung finden sich Sätze, gegen die niemand etwas haben kann. Zum Beispiel das Ziel einer "Union, die gegen Arbeitslosigkeit, Diskriminierung, soziale Ausgrenzung und Armut kämpft". Konkrete Projekte wie etwa eine gemeinsame Versicherung gegen Arbeitslosigkeit sucht man vergeblich.

Am entschlossensten klingt das vierte Versprechen: "ein stärkeres Europa" in der Welt. Die EU sei "bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen" und eine "wettbewerbsfähigere und integriertere Verteidigungsindustrie" zu schaffen. Ziel ist es, "die gemeinsame Sicherheit und Verteidigung zu stärken", in Kooperation mit der Nato. In klarer Abgrenzung zur neuen amerikanischen Abschottungspolitik heißt es, dass die EU für ein "regelbasiertes multilaterales System" stehe und sich für einen "freien und fairen Handel und eine positive globale Klimapolitik" einsetze.

Alle vier Versprechen eint "der Glaube, dass Europas Zukunft in unseren eigenen Händen liegt und dass die Europäische Union das beste Instrument ist, unsere Ziele zu erreichen". Es folgt das Bekenntnis, dass die Union "groß bei großen Themen sein soll und klein bei kleinen".

Was bleibt also am Ende hängen? "Wir sind zu unserem Glück vereint", lautet der vorletzte Satz. Und dann: "Europa ist unsere gemeinsame Zukunft." Auch das stand schon in der Berliner Erklärung anno 2007. Es gibt eben Sätze, die bleiben. Offen ist nur, wie lange

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3435397
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.03.2017/vbol
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.