EU-Gipfel:Zu 99 Prozent sicher

EU Council Special Meeting

Neuer Präsident des Europäischen Rates? Donald Tusk trifft in Brüssel ein. Er gilt als Favorit für das Amt.

(Foto: dpa)

Vor dem europäischen Sondergipfel herrscht seltene Einigkeit unter den Chefs über die Besetzung der Top-Jobs. Deutlich weiter liegen die Chefs bei der Frage neuer Sanktionen gegen Russland auseinander.

Von Cerstin Gammelin und Daniel Brössler, Brüssel

Die Indizien ließen am Samstagmittag nur einen Schluss zu: Die Nominierung des europäischen Spitzenpersonals war bereits vor Beginn des extra dafür einberufenen Sondertreffens der 28 Staats- und Regierungschefs so gut wie abgeschlossen.

Der finnische Premierminister Alexander Stubb formulierte es bei seinem Eintreffen in Brüssel so: "Donald Tusk und Federica Mogherini sind beide sehr kompetent. Ich wette eigentlich niemals, aber heute würde ich mein Geld auf die beiden setzen". Bundeskanzlerin Angela Merkel gab sich zwar zurückhaltender, sie erklärte kurz, sie sei zuversichtlich, dass auf dem Gipfel über die Jobs entschieden werde. Allerdings ist diese vorsorgliche Zurückhaltung Teil ihrer persönlichen Gipfelstrategie. Umso schöner lassen sich nach dem Gipfel schwer errungene Erfolge verkünden.

Favorit Tusk schweigt vor dem Finale

Donald Tusk, der in den vergangenen Tagen zum Favoriten für das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates aufgestiegen war, schritt am Samstagnachmittag stumm, aber mit einem breiten Lächeln über den roten Teppich in das Brüsseler Ratsgebäude. Dass er schwieg, war in diesem Falle wohl weniger seinen mangelnden Fremdsprachenkenntnissen als der Tatsache geschuldet, dass Kandidaten vor dem Finale besser niemals etwas sagen. Der polnische Premierminister konnte sich bei seinem Eintreffen der Unterstützung so gut wie aller Kollegen aus den 28 Ländern sicher sein, vor allem aber der aus Berlin, London und Paris.

Allerdings: Eine kleine Unsicherheit blieb dann doch noch. Polnische EU-Diplomaten zeigten sich nervös, dass die Ernennung Tusks zum nächsten Ratspräsidenten doch noch an Paris scheitern könnte - und wegen eines Streits zwischen Deutschland und Frankreich um den Posten des nächsten EU-Kommissars für Wirtschaft und Währung.

Präsident François Hollande hat seinen früheren Finanzminister Pierre Moscovici als französischen Kommissar für die neue Kommission unter Behördenchef Jean-Claude Juncker nominiert. Hollande spekuliert auf den Posten des mächtigen Wirtschafts- und Währungskommissars, der direkten Einfluss im Apparat der Kommission garantiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel will den Posten dagegen mit einer Person aus einem eher stabilitätsorientiertem Land besetzen lassen.

Die Entscheidung liegt grundsätzlich bei Juncker, allerdings formulieren die Hauptstädte ihre Erwartungen durchaus deutlich. Juncker kündigte an, den Posten an einen Sozialisten zu vergeben - was wiederum den Weg für den Konservativen Tusk frei macht. Sollte allerdings am Gipfeltisch erneut Streit um die Besetzung des Wirtschaftskommissars entstehen, könnte Tusk gefährdet sein. Das Amt wird zum 1. Dezember für 2,5 Jahre neu besetzt. Die Dauer kann einmalig verdoppelt werden.

Was tun im Ukraine-Konflikt?

Die italienische Außenministerin Federica Mogherini wiederum saß am späten Nachmittag im Flieger nach Brüssel - ein deutlicher Hinweis, dass sie später am Abend für ein Foto des neuen EU-Personals gebraucht werden könnte. Kurz vor 17 Uhr twitterte die Sprecherin des neuen Kommissionschefs Juncker bereits ein Foto der beiden, im Hintergrund die EU-Flagge.

Anders als noch im Juli, als sich erheblicher Wiederstand gegen ihre Nominierung als Hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik regte, konnte sich Mogherini ihrer Ernennung am Samstag so gut wie sicher sein. Das Amt wird zum 1. November für fünf Jahre besetzt.

Läuft alles nach Plan, werden die drei EU-Top-Jobs künftig von einem Luxemburger (Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionschef), einem Polen (Donald Tusk als EU-Ratspräsident) und einer Italienerin (Federica Mogherini) besetzt.

"Absolut inakzeptabel"

Viel weniger Klarheit herrschte beim anderen großen Gipfelthema: Was tun im Ukraine-Konflikt? "Absolut inakzeptabel" nannte der britische Premierminister David Cameron die Situation. Die Staats- und Regierungschefs hegen keinerlei Zweifel mehr, dass russische Soldaten auf ukrainischem Territorium in die Kämpfe verwickelt sind - und sie sind entsetzt darüber.

Vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ließen sie sich auf den letzten Stand dieser trostlosen Lage bringen. "Unsere Partner verstehen sehr gut, wo die Bedrohung herkommt und wer die Verantwortung trägt", hatte Poroschenko ein paar Stunden vor Beginn des Gipfels nach einem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso gesagt und tapfer verkündet: "Die russische Aggression wird nicht ohne Antwort der EU bleiben." Aber was heißt das? Darüber waren sich die Europäer zunächst alles andere als einig.

Die stets kämpferische litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite forderte "volle Sanktionen jetzt". Russland habe Europa praktisch den Krieg erklärt. Gegen eine abermalige Verschärfung der Sanktionen aber regte sich Widerstand - wobei die Konfliktline keineswegs entlang der alten Ost-West-Grenze verlief. "Ich habe nicht den Eindruck, dass Sanktionen bisher erfolgreich gewesen sind", mahnte etwa auch der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka. Die EU müsse ihre Strategie überprüfen, um den Kämpfen im Osten der Ukraine endlich ein Ende zu bereiten. Die EU sei bereit, "im Lichte der Ereignisse vor Ort weitere Schritte" zu ergreifen, hieß es im Entwurf für die Gipfelerklärung denn auch eher vorsichtig. Die EU-Kommission solle Vorbereitungen treffen - dringend.

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