Süddeutsche Zeitung

EU-Gipfel:Der politische Preis für die Corona-Hilfen ist hoch

In der EU haben sich zwei starke Lager formiert. Die Rechtsstaats-Ignoranten und die sogenannten Sparsamen haben der Union schweren Schaden zugefügt.

Kommentar von Stefan Kornelius

Es gehört zur Berufsbeschreibung des europäischen Spitzenpersonals, Kompromisse als Erfolg zu verkaufen. Und wenn Frankreichs Präsident über das Aufbaupaket jubelt - 390 Milliarden statt 500 Milliarden sind besser als überhaupt kein Geld - dann hat er sogar Recht. Aber: Wer dem Klang des Selbstlobs nach dem Gipfel nachlauscht, der hört vor allem Bitterkeit und unverhohlene Aggression.

Die EU war schon immer eine schwer zu steuernde Ansammlung nationaler Interessensverwalter. Nun aber haben sich zwei Blöcke verfestigt, die mit den Prinzipien der Union offen erpresserisch umgehen: die Gruppe der Rechtsstaats-Ignoranten und die Gruppe der national-populistischen Erziehungsbeauftragten. In Kombination haben diese Staaten der Union in den vergangenen Tagen schweren Schaden zugefügt.

Den Rechtsstaats-Ignoranten, im Kern die ungarisch-polnische Achse, ist mit den Mitteln der Einstimmigkeit nicht beizukommen. Sie benutzen die EU als Melkmaschine, der einstimmig gehegte Rechtsraum bietet ihnen sogar Schutz. Mit den bestehenden Verträgen wird es nicht möglich sein, dem Missbrauch an der Demokratie Einhalt zu gebieten.

Lange nachwirken wird der Auftritt der sogenannten Sparsamen, die am Ende so viel Rabatte einstreichen und Binnenmarkt-Profit erwarten dürfen, dass sie sich ihren Namen redlich erworben haben. Ihre Gemeinschaftspädagogik hängt dabei schmerzlich schief. In Brüssel wurde kein Almosenpaket für darbende Südstaaten verhandelt, sondern der Überlebensplan der EU und ihres Binnenmarktes nach der Pandemie-Zäsur und im Schatten einer sich neu formierenden Weltordnung.

Die belehrerische Herablassung Österreichs und der Niederlande wird man ihnen noch lange nachtragen

Corona hat mit der Staatsschuldenkrise von 2008 und der Eurokrise reichlich wenig gemeinsam. Die Staatsschuldenkrise war Ergebnis schlechter Regierungsarbeit, der Regeldruck aus Deutschland damals zwingend, um den Euro am Leben zu erhalten. Nun haben die Sparsamen das Bild eines dysfunktionalen Wirtschaftsraums geschaffen, das den Tatsachen nicht entspricht. Die emotionale und belehrerische Herablassung wird man einem Mark Rutte oder einem Sebastian Kurz noch lange nachtragen.

Vollends falsch ist ihr Vorwurf, Deutschland habe im Spiel der Kräfte die Seiten gewechselt und erledige nun das Geschäft der Nehmerländer. Wäre dem so, dann hätte der Gipfel jetzt Eurobonds diskutiert und nicht einen einmaligen Wiederaufbauplan.

Zur Klarstellung: Es ist absolut zwingend, dass sich 27 Staaten auf Regeln verständigen, wenn sie 1825 Milliarden Euro verteilen. Dies ist der Union nun gelungen, aber der politische Preis ist hoch. Die Verwerfungen innerhalb der EU sind klar erkennbar. Das Lager der Autokraten und das Lager der Nationalisten haben an Gewicht gewonnen. Das Regelwerk und vor allem das Einstimmigkeitsprinzip stoppen den Reifeprozess der Gemeinschaft. Deswegen wird nun die Debatte um die politische Gestalt einer neuen EU in den Mittelpunkt rücken.

Andererseits verfügt die Gemeinschaft nun über einen Krisenplan, der sie heraushebt in der Welt und ihr die Chance zum Überleben bietet. Das ist nicht wenig.

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SZ vom 22.07.2020/smh/saul
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